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Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 3. Dez 2014, 16:54
von bobbiline
Hallo ihr,

ich las, dass Bernafon ein neues Gerät anbietet, dass "Speach Cue Priority" anbietet. Damit kann man eine Einstellung festlegen die "Envelope Priority" heisst.
Dazu steht bei Bernafon:
Envelope Priority is designed to support hearing-impaired people who rely on the information from the envelope for speech understanding. This strategy applies less alteration to the amplification of the speech signal, preserving the envelope information.
Habt ihr Erfahrung mit dieser Technik (evtl. bei anderen Hörgerätemarken)? Macht diese Technik viel aus beim Sprachverständnis? Oder ist das ein Feature, dass kaum weiterhilft bzw. vernachlässigbar ist bei der Anpassung?
GLG
bobbi

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 3. Dez 2014, 17:47
von Musiker_72
Das ist individuell unterschiedlich.

Das Problem tritt normalerweise bei Leuten mit Hyperakusis auf (Geräuschempfindlichkeit), da stellt man die HGs auf starke Kompression. Das heißt, dass nur leise Töne lauter gemacht werden, die lauten nicht.

Dadurch gehen aber die Lautstärkeunterschiede verloren, die aber von vielen fürs Sprachverständnis benötigt werden.

Wenn Du keine Geräuschempfindlichkeit hast, dann dürfte bei Dir das Problem eher nicht auftreten (vorsicht, Laienmeinung).

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 3. Dez 2014, 19:28
von bobbiline
Danke für Deine Antwort. Bernafon schreibt ja noch dazu, dass es für Leute mit "geringer auditiver Auflösung" geeignet ist (verstehe das nicht so wirklich). Meinen die damit also Leute mit Hyperakusis? Zuerst las sich das für mich als kompletten Laien so, dass es für Leute wäre die nur wenig hören, sprich mittel- bis hochgradig schwerhörig sind.

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 3. Dez 2014, 21:44
von Musiker_72
Ich denke nicht, dass die damit Leute mit Hyperakusis meinen.

Ich habe natürlich nach Hinweisen bei Hyperakusis gesucht, und bin in diesem Zusammenhang auch auf die Sache mit der Hüllkurve gestoßen.

Sorry, genauer weiß ich es nicht!

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 4. Dez 2014, 17:26
von JND
Hallo,

geringere auditive Auflösung bezieht sich meistens nur auf stärkere Hörverluste, bei denen die äußeren Haarzellen in der Cochlea geschädigt sind.
Durch die Schädigung der äußeren Haarzellen kommt es zu einer schlechteren Frequenzauflösung, es fällt schwerer Stimmen voneinander zu trennen und die Lokalisation verschlechtert sich häufig auch.

Bei leichten Schwerhörigkeiten dagegen sind bestimmte Teile der Sprache/der Alltagsgeräusche nicht hörbar.

Wenn leise Anteile nicht hörbar sind, können diese verstärkt werden. Mit dieser Verstärkung verschlechtert sich aber gleichzeitig auch die Frequenzauflösung des Signals ein wenig.
Bei der Speech Cue Priority werden von daher unterschiedlich schnell agierende Dynamikkompressoren angeboten: Ein Kompressor, der die Pegeländerungen über lange Zeiträume anguckt und daher die Einhüllenden (Envelope) weitestgehend nur insgesamt verstärkt. Ein anderer Kompressor analysiert die Pegeländerungen über einen sehr viel kürzeren Zeitraum und kann somit auf Phonemebene (kleinste sinnbedeutende Lautäußerung) alles hörbar machen. Das hat aber zur Folge, dass die Einhüllende unter Umständen gestört wird, weil unterschiedliche Verstärkungsfaktoren auf zeitlich aufeinanderfolgende Abschnitte der Sprache angewendet werden.

Problem: Es gibt noch keine praktikablen Lösungen, um genau zu quantifizieren, wie viele der äußeren Haarzellen oder inneren Haarzellen wie stark geschädigt sind (Das Audiogramm misst das Zusammenspiel von meheren Haarsinneszellen über verschiedenen Frequenzen, kann also nicht in jedem Fall als Grundlage herangezogen werden.). Von daher muss die Regelung der Kompressionszeit ein einstellbarer Parameter in der Hörgeräte-Software bleiben.

Es gibt natürlich auch bei den anderen HG-Herstellern solche Regelungen, die auch mindestens zwei unterschiedliche Zeitschaltungen haben. Ob die Strategie von Bernafone nun soo viel besser ist (im individuellen Fall) als die anderer Hersteller muss halt erst ausprobiert werden:)

Schöne Grüße,
JND

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 10. Feb 2015, 15:27
von bobbiline
JND hat geschrieben: Bei der Speech Cue Priority werden von daher unterschiedlich schnell agierende Dynamikkompressoren angeboten: Ein Kompressor, der die Pegeländerungen über lange Zeiträume anguckt und daher die Einhüllenden (Envelope) weitestgehend nur insgesamt verstärkt. Ein anderer Kompressor analysiert die Pegeländerungen über einen sehr viel kürzeren Zeitraum und kann somit auf Phonemebene (kleinste sinnbedeutende Lautäußerung) alles hörbar machen.
Hi JND,
verstehe ich das richtig, dass die Sprache (alle Sprachfrequenzen) als Ganzes in einen "Umschlag" gepackt wird und der ganze Umschlag dann linear verstärkt wird? Und alles was darunter und darüber liegt komprimiert wird?
Das könnte doch auch für ganz normal Leicht- bis Mittelschwerhörige von Interesse sein, oder? Es gibt doch viele Menschen die eine lineare Verstärkung als angenehm empfinden.

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 4. Mär 2016, 14:59
von Tinu76
Hallo zusammen

Möchte gerne diesen Thread wiederbeleben.

Mich würde interessieren, ob es nun auch Erfahrungen gibt, bezüglich dieser möglichen Einstellung der Hörgeräte. Hat jemand wirklich einen Gewinn erzielt durch die Umstellung von Phonem-Basiert zu Enveloppen basierender Sprachverarbeitung?

Aus meiner Sicht als Leihe erscheint mir eigentlich die Enveloppen basierende Sprachverarbeitung besser... Bei der Musik ist eine starke Kompression ja auch nicht nur von Vorteil, auch wenn uns die moderne Popmusik etwas anderes lernen möchte (ausser dass es etwas lauter und voller wirkt, dafür gehen die Details verloren), warum sollte dies bei der Sprache anders sein?

Gibt es evt. auch Akustiker die auch schon über Erfahrungen berichten können?

Ich trage selbst ja auch Widex und habe dort die Angabe gefunden, dass sie auch versuchen die Umhüllung (die Unterschiede in der Lautstärke der Buschstabentöne) zu erhalten.
In Zukunft möchte ich jedoch auch die Bernafon mal testen.

Bernafon hat noch ein Paper dazu veröffentlicht.
Link

Grüsse
Tinu

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 5. Mär 2016, 12:07
von Musiker_72
Hallo,

das "Problem" ist, dass ich ja mit der normalen Einstellung sehr gut höre, daher habe ich die Enveloppen-basierte Einstellung nie ausprobiert.

Außerdem gehe ich davon aus, dass man in akustisch einfachen Situationen kaum einen Unterschied hört, man müsste das mal direkt z.B. in einem Restaurant testen.

Hier sind also die Profis gefragt: Habt Ihr das mal angepasst?

Gruß,

Musiker_72

Re: Bernafon Juna mit neuem Feature: Envelope Priority

Verfasst: 26. Jul 2016, 09:14
von fast-foot
Na ja, es spielen hier verschiedene Faktoren eine Rolle. Arbeiten die OHCs noch zu einem bestimmten Grad, so können sie in einem gewissen Dynamikbereich für eine höhere Frequenzselektivität sorgen. Durch bspw. einfache Anhebung der Verstärkung geht diese dann verloren. Dieser Effekt wirkt sogar bei einem Totalausfall der OHCs, nur nicht so stark. Das heisst, etwas einfach ausgedrückt, dass eine Verminderung der Kompression (durch Anhebung der Verstärkung) durch eine Verminderung der Frequenzselektivität erkauft wird - selbst bei einem Totalausfall der OHCs (in diesem Falle fällt er etwas geringer aus). Natürlich kann man die Verstärkung auch aus dem Grund nicht beliebig anheben, da auf Grund der erforderlichen Begrenzung wieder eine Komrpession statt finden würde (und auch aus dem ganz unten angeführten Grund ist das nicht optimal).

Selbst dann, wenn die OHCs nicht mehr arbeiten, muss man einen Kompromiss finden zwischen folgenden beiden Extremen:

1. Wenn man die Verstärkung nicht anhebt, gehen leise Sprachanteile eher unter, wobei auch die (vom Ohr wahr genommene - und das ist ja das Entscheidende) Gestalt der Einhüllenden dann eben nicht charakteristischer ausfallen muss als im Falle einer höheren Kompression.

2. Und wenn man sie anhebt, dann wird dies durch eine niedrigere Frequenzselektivität erkauft.

Natürlich kann es bspw. der Fall sein, dass letztere "eh nicht mehr sehr hoch ist und auch mit zunehmendem Pegel nicht mehr deutlich abnimmt". Dann würde die Strategie bessere Resultate erzielen. Eine ähnliche Strategie wird ja bspw. bei CIs bestimmter Hersteller im Tieftonbereich angewendet - nur ist sie nicht 1:1 vergleichbar und die Frequenzsektivität zunächst (ohne Anwendung bestimmter Strategien) grundsätzlich sehr viel schlechter als bei einm "noch brauchbaren (Rest-) Gehör".

Ein Nachteil könnte darin bestehen, dass die auf das Gehör abgegebene Lärmdosis höher ausfällt (im 2. Falle). Ich würde auch dies als Nachteil ansehen (im 1. Falle würde sie geringer ausfallen).

Gruss fast-foot