Statt "anders" möchte ich lieber "hörgeschädigt" sagen. Hörgeschädigte Kinder müssen wissen, dass sie hörgeschädigt sind. Aber es ihnen dauernd unter die Nase zu reiben, ist kontraproduktiv und vermittelt das Gefühl, auf die "Behinderung" reduziert zu werden.
Ich denke, die besten Chancen, mit dem "Anderssein" (oder wie man es sonst auch nennen soll) zurechtzukommen, hat ein Kind, wenn es ernst genommen wird, wenn es Kummer im Zusammenhang mit seiner Hörschädigung zeigt.
Meine Mutter hat mir nie gesagt, dass ich "anders" bin, ich habe ab der 2. Klasse Regelschulen besucht, kannte aber andere
hg Kinder (aus der Vorschulzeit und 1. Klasse und sonst von Elternkursen, die für mich auch wichtig waren). Sie hat meine Hörschädigung nie versteckt, mir klar gemacht, dass ich meine Hörschädigung kurz erklären muss, wenn ich jemanden nicht verstehen konnte. Sie hat mir sogar meine ersten vier Grundschuljahre immer einen Pferdeschwanz gebunden, weil sie wollte, dass man meine Hörgeräte sah (ich wusste das nicht und liebte den Pferdeschwanz

). Ganz wichtig war aber, dass sie mich nie bedauert oder bemitleidet hat.
Ein hörgeschädigtes Kind nimmt sein "Anderssein" sowieso nach und nach wahr, bei Eltern, die damit offen umgehen, dürfte die Erkenntnis nicht wie ein Schock kommen.
Ich denke, es hängt sehr davon ab, wie die Eltern zur Hörschädigung des Kindes stehen und wie die Beziehung zum Kind ist, stimmt beides, kann "Anderssein" viel besser akzeptiert werden.
Im Jugendalter kann es zu "Identitätskrisen" kommen, muss aber nicht, das hängt auch davon ab, wie gut man hört und vor allem wie gut man die eigenen Grenzen akzeptiert.
Christian z.B. würde ich ganz vorsichtig eine günstige Prognose stellen, so wie ich ihn mit seiner starken Persönlichkeit und seinem charmanten Auftreten kennen gelernt habe und wie ich euch als in Sachen
CI und Kindererziehung engagierte Familie erlebt habe. (Sabine, ich muss noch heute lachen, wenn ich drandenke, wie ich letztes Jahr beim Mittagessen bei einer Tagung zu dir eher leise und undeutlich "Also dann, bis später!" sagte und er, der mich trotz Hintergrundlärm durch Leute/Geschirr und meiner verwaschenen Artikulation sofort verstand, ganz lässig-erwachsen ebenfalls mit "Bis später!" antwortete und dazu cool die Hand erhob. Für mich war das auch deshalb so beeindruckend, weil ich Christian nicht angeschaut hatte und ich gar nicht auf deutliche Lippenbewegungen geachtet hatte, ich hatte nicht mal eine Geste gemacht, sondern habe nur durch die Körperhaltung gezeigt, dass ich gleich aufstehen würde. Sorry, dass ich diese Kleinigkeit so ausführlich darstelle, aber gerade so kleine Reaktionen in so einem Kontext sagen sehr viel aus, wie ein Kind gefördert wurde.)
Zurück zur Identitätskrise. Ich hatte sie auch, sofern man von Krisen sprechen kann, gerade im Jugendalter gab es Phasen, wo es teilweise schlimm war. Mir half in dieser Zeit sehr, regelmäßig Kontakt zu einer hörenden Freundin, die zufällig auch in meiner Klasse war, zu haben (übrigens habe ich mit ihr noch heute engen Kontakt, obwohl wir seit Jahren ca. 300 km aueinander wohnen). Bei ihr "kotzte" ich mich aus und badete mich so richtig in Selbstmitleid, dann hatte ich eine Brieffreundin, die wie ich eine Regelschule besucht hatte, mit der konnte ich mich brieflich auch sehr gut austauschen. Nebenher hatte ich eine Familie, die mich liebte. Mir persönlich half es in dieser Zeit auch, dass ich von meinen Eltern und meinem mobilen Dienst hin und wieder Bestätigung bekam, dass ich als Hörgeschädigte mehr leisten musste als meine hörenden Klassenkameradinnen und dass das nicht selbstverständlich war. Ich schreibe es nur ungern, aber ich genoss es als Kind sehr, gelobt zu werden für das, was ich leistete.
Gleichzeitig machten meine Eltern mir bewusst, dass ich jederzeit "zurück an die Schwerhörigenschule" konnte (ich war ja in der 1. Klasse dort). Damit zeigten sie mir auch, dass es keine Schande ist, wenn ich die Regelschule wegen der Hörschädigung nicht schaffen würde. Kurzum, wenn ein Kind wegen seiner Hörschädigung in irgendeinem Bereich versagt, ist es hilfreich, wenn ihm vermittelt wird, dass das nicht schlimm ist und es dafür Lösungen gibt.
Ich wünsche keinem hörgeschädigten Kind oder Jugendlichen Identitätskrisen. Meine hielten sich in Grenzen, aber sie waren teilweise anhaltend und teilweise heftig. Allerdings war und bin ich auch deutlich kommunikationsbehindert unter Hörenden, etwas, was bei den gut geförderten
CI-Kindern von heute viel weniger der Fall ist.[size=small]
[Editiert von Gudrun am: Montag, März 26, 2007 @ 21:45][/size]