Internatsleben

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T1001
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Internatsleben

#1

Beitrag von T1001 »

Wie ist das Internatsleben? – 10 Jahre Erfahrung in BBZ-Stegen

Kennt ihr Hanni & Nanni oder Harry Potter? Man wohnt in einem zauberhaften Schloss, dass viele voller Regeln, unerwarteter Abenteuer und Freunde beherbergt. Geister spukten durch die Gänge und Jungs versuchen unerkannt zu den Mädchenzimmern zu gelangen. Nicht so in Stegen. Mit 11 Jahren war ich erstmals in Stegen und vom Ambiente enttäuscht. Ich wollte damals nicht akzeptieren, dass die eingeschossig-hohen Häuser, dass Internat war. Doch die Jahre, die ich dort verbracht habe, haben gezeigt, dass die Geschichten über das Internat dennoch einen wahren Kern haben.

--> Es ist verständlich, dass es anfangs schwerfällt, sein Kind ins Internat zu schicken. Sowohl Eltern als auch Kinder können unter Heimweh leiden – das gehört dazu. Doch trotz dieser anfänglichen Zweifel und Sorgen ist es oft die richtige Entscheidung. Rückblickend bin ich dankbar, dass meine Eltern den Mut hatten loszulassen. Dadurch eröffnete sich mir die Möglichkeit einer herausragenden Schulbildung, die speziell auf hörgeschädigte Schüler zugeschnitten war (siehe Bericht: „Meine Erfahrungen mit Schulen für Hörgeschädigte“).

Lasst euch davon überzeugen, dass das Internat nicht so beängstigend ist, wie ihr vielleicht denkt. Es gibt unzählige positive Erfahrungen und Geschichten zu berichten. Durch die Unterstützung und Gemeinschaft im Internat können Kinder nicht nur fachlich optimal gefördert werden, sondern auch persönlich wachsen und sich entfalten.

Gruppenaufbau in der Mittelstufe:
• Max. 10 Schüler
• Jedes Alter (oft zwischen: 10 J. – 17 J.)
• Meistens zu zweit im Zimmer
• 2 Stammerzieher/innen (Immer 1 Erzieher ganztätig da)
• Eine Etage im Haus
• Getrennte Geschlechter

Gruppenaufbau in der Oberstufe (Gymnasium Stufe 11-13):
• Max. 10 Schüler
• Meistens ab. 17 Jahren
• Eigenes Zimmer
• 2 Stammerzieher/innen (Vormittag und Nachmittag keine Erzieher)
• Ganzes Haus
• Neu: 1 Haus mit gemischten Geschlechtern

Die Gruppen in der Mittelstufe besitzen höchstens 10 Schüler jeden Alters und zwei Stamm-Erzieher. Jede Gruppe wohnt entweder im Erdgeschoss oder im Obergeschoß. Wenn man Glück hat, gibt es weniger strenge Erzieher. Ich hatte Pech, beide Erzieherinnen waren sowohl streng als auch betagt, aber sie waren zuverlässig, vertrauenswürdig, spielfreudig und hatten ein ruhiges Gemüt.


Hier kommt erstmal eine Schilderung über den Ablauf in der Mittelstufe (5.Klasse – 10.Klasse)

An- und Abreise:
Es ist nicht wie in Harry Potter, dass man sich nur in den großen Ferien sieht. In Stegen ist es so geregelt, dass man in der Mittelstufe jedes Wochenende nach Hause fährt. Anreise in Stegen ist Montag und der Unterricht fängt um ca. 9:30 Uhr an. Im ersten Jahr in Stegen bekommt jeder Neuling einen älteren Schüler als Begleiter, und während der Zugreise begegnete man vielen Mitschülern. Freitag um ca.13 Uhr ist Schulschluss und ab geht es nach Hause. Keine Sorge, es ist alles geregelt. In den 10 Jahren ist mir nie etwas passiert außer ein paar Zugverspätungen.

--> Die Freude ist am Wochenende riesig, die Eltern wieder zu sehen und weil man sich nur am Wochenende sieht, nehmen sich die Eltern auch meistens besonders viel Zeit für Ihr Kind :D


Essen:
Nach der Schule gab es Mittagessen in seiner Gruppe. Das Essen ist wird von der Küche auf dem Gelände gekocht und von den Hausmeistern geliefert. Das Essen schmeckt oft gut. Es gibt gebratenen Fisch, mit Kartoffeln oder Spagetti mit Tomatensoße oder Nürmberger Würstchen mit Kartoffelbrei und Sauerkraut oder Gyros mit Zaziki und Fladenbrot. Jeden Tag gibt es ein Fleischgericht oder etwas Vegetarisches. Man kann immer 2 Wochen vorher entscheiden, ob man vegetarisch oder Fleisch essen möchte.

Abends gibt es Abendbrot, manchmal gab es auch Burger oder Pizza. Wir essen mit unserem Erzieher immer gemeinsam und erzählen uns gegenseitig vom Tag und natürlich wird über die neusten Gerüchte diskutiert.


Freunde und AGs:
Ihr Kind ist nie allein. Es gibt immer jemanden zu spielen. Man kann Kinder von anderen Internatshäusern besuchen, trifft sich auf dem Spielplatz oder auf dem Sportplatz (Alles auf dem BBZ-Gelände vorhanden). Die Tafö-Schüler sind auch noch bis spätnachmittag da. Das sind Schüler, die in der Nähe wohnen und bis ca. 16:30 Uhr in anderen Gruppen betreut werden. Ruhe findet man in seinem Zimmer, wenn man seinen Mitbewohner darum bittet. Im Sommer darf man eine Stunde länger draußen bleiben als im Winter, das haben wir bis es Zeit war ausgenutzt. In der Nähe gibt es einen Bauernhof, dort darf man die Tiere streicheln oder man geht zum knöchelhohen Bach, um sich abzukühlen.

--> Man kennt viele Leute aus ganz Deutschland

--> Falls die Sorge besteht, dass Ihr Kind keine Freunde im Heimatsort findet, dann melden Sie es in einem Freitag oder Samstag Kurs an. Ich war im Heimatsort Freitagsabend im Leichtathletik-Verein.

Es gibt auch ein großes Angebot an AGs. Die Angebote variieren. Hier ein paar Beispiele, die es zu meiner Zeit (2010-2021) gab:
• Basketball, Fußball, Tischtennis, Klettern, Volleyball
• Bienen-AG, Ziegen-AG (Das BBZ hat Ziegen)
• Doppelkopf (Kartenspiel), Schach, Poker (Nicht immer)
• Spiel und Spaß
• Kochen, Basteln
• Kajak fahren, …

Pflicht: In der Mittelstufe musste man mind. 1 AG regelmäßig besuchen. Das war manchmal nervig, aber es hat Spaß gemacht.

--> Man konnte vieles ausprobieren, die Chance gab es so zu Hause nicht.
--> Es gibt Fußball oder Basketball Turniere gegen andere Schulen.


Regeln und Dienste:
Das Leben im Internat birgt eine Fülle von Erfahrungen, die einem nicht nur den Horizont erweitern, sondern auch eine Menge Disziplin lehren.
--> Fixe Regeln bei allen Internatshäusern

In jeder Gruppe fallen kleine häusliche Dienste an, wie das Entsorgen des Mülls, oder das Zurückbringen des Korbs in die große Küche, der mit Lebensmitteln für Frühstück und Abendessen gefüllt ist, Tisch decken, Geschirr einräumen, …
Jeder muss mind. einen Dienst (Je nach Gruppengröße hat man auch mehr Dienste) ausführen.

--> Erzieher sind keine rundum Versorger, es gilt das Prinzip: jeder hilft mit
--> Es entsteht ein Bewusstsein für die Bedeutung von Geben und Nehmen.
Ein Beispiel: Wenn der dafür Verantwortliche seinen Dienst vernachlässigt, müssen alle darauf warten, bis die Aufgabe erledigt ist, bevor sie essen können. Das verdeutlicht eindrücklich, wie wichtig es ist, sich an die Regeln zu halten, um das Zusammenleben zu erleichtern.

Ein weiterer Aspekt unseres Internatslebens ist die festgelegte Lernzeit zwischen 13 - 14 Uhr, sofern kein Nachmittagsunterricht ansteht. In dieser Zeit stehen den Schülern Erzieher zur Verfügung, die bei den Hausaufgaben helfen. Die unbezwingbare Lernzeit hat mich dazu gebracht, selbstständig zu lernen, weil ich keine Hilfe von den Erziehern wollte. Das hilft mir ungemein in meiner Studienzeit.

--> Erzieher unterstützen bei den Hausaufgaben
--> Selbstständig Lernen lernen (extrem hilfreich)

Auch die Schlafenszeiten sind festgelegt, ebenso wie die Regelungen zum Einkaufen in den umliegenden Ortschaften, wobei diese mit zunehmendem Alter flexibler gehandhabt werden.

Natürlich werden, wie in jeder Internatsgeschichte nach Möglichkeit gesucht die Regeln zu sabotieren. Sei es, indem wir unser Handy verstecken oder vorgeben, Nachmittagsunterricht zu haben, um der Lernzeit zu entgehen, dass ging so lange gut, bis die Erzieher von jedem Schüler den Stundenplan wollten.

Doch letztlich zeigt sich, dass die Regeln eine wichtige Funktion erfüllen: Sie schaffen Ordnung und erleichtern das Zusammenleben. Sie helfen uns, Verantwortung zu übernehmen und selbstständiger zu werden.

--> wertvolle Erfahrungen, die uns auch über die Internatszeit hinausbegleiten


Gesundheitliche Vorsorge:
Kopfweh, Bauchweh, Zahnschmerzen oder vielleicht mal das Hörgerät kaputt? Kein Problem! Einfach einen kurzen Spaziergang nach Haus 14 machen, dort sind die freundlichen Krankenschwestern zur Stelle. Einfach die Beschwerden erklären und zack bekommt man etwas dagegen. Notfall oder Wunsch auf einen Arzttermin? Schon bekommt man einen Termin in den nächsten Wochen. Es gibt nur kurze Wartezeiten.

• Krankenschwestern direkt auf dem Gelände, immer da, wenn man sie braucht
• Jede Woche besuchen uns Fachleute, um für unser Wohlbefinden zu sorgen
+ Zahnarzt
+ Akustiker
+ Ärztin

--> Liebe Eltern, euer Kind wird hier besten versorgt werden. Habt keine Angst.



Sonstige Fakten:
• Kurzer Schulweg, Schule und Internat sind Nachbarn
• Feldberg ist einfach mit dem Zug zu erreichen


Abschlussworte:
Das BBZ, mag zwar nicht groß sein, aber das ist gerade das Besondere daran: Mit etwa 300 Schülern und Kindern sind wir wie eine große Familie. Man kennt beinahe jeden beim Namen – sei es Mitschüler, Lehrer, Krankenschwestern, Hausmeister und Erzieher. Hier fühlt man sich einfach zu Hause. Obwohl ich vor 2 Jahren (2021) meinen Abschluss habe, besuche ich alle paar Monate BBZ-Stegen, weil ich dort eine großartige Zeit hatte. :sm(4):
cleo99
Beiträge: 88
Registriert: 27. Sep 2023, 10:37

Re: Internatsleben

#2

Beitrag von cleo99 »

Sehr netter Bericht mit tollem Einblick, wie auch der vorige Beitrag. Nur das mit der Lernzeit habe ich nicht ganz verstanden, von 13-14 Uhr… das ist aber schon sehr kurz? Oder wie ist das zu verstehen?
Richy
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Re: Internatsleben

#3

Beitrag von Richy »

ganz toll geschrieben ,trotz deinem doch eher noch jugendlichen Alters :clap:
mittelgradig schwerhörig, versorgt mit Signia Pure 5 AX beidseitig
T1001
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Beiträge: 5
Registriert: 7. Feb 2024, 09:34

Re: Internatsleben

#4

Beitrag von T1001 »

Hallo cleo99,

danke für dein Feedback.

Die tägliche Lernzeit von 1h hat oft gereicht und war manchmal zu lang und ein anderes Mal zu kurz. Freiwillig länger lernen ist erlaubt und die Erzieher sind immer da, um weiterzuhelfen.

Die Lernzeit galt für das gesamte Gelände (Internatshäuser und Tagesgruppen), dass heißt keine Besuche, kein Lärm, keiner darf raus, nichts spielen, sondern lernen oder ein Buch im Zimmer lesen, wenn man keine Hausaufgaben hatte.
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