@ Santiago and all,
Ich will da mal meinen Senf, ähh meine Erfahrungen als Akustiker dazu geben.
Ich habe das Glück gehabt dass ich wärend meiner Ausbildung und auch noch einge Jahre danach alle "Arten" von
HG's kennenlernen durfte oder musste

. Also rein analoge, analog-digitalprogramierbare und volldigitale
HG's und ich muss aus aktueller Sicht sagen, alle Geräte waren gut und sicher hätten manche älteren Geräte auch heute noch ihre Daseinsberechtigung.
Analoge Geräte hatten so zwischen 2 und 5 Stellerund das Kompressionsverhälzniss war in der Regel fest vorgegeben. Der Akustiker musste noch sehr viel mehr über Veränderungen an der
Otoplastik arbeiten und ja, ich glaube die Ansprüche waren noch deutlich geringer. Sowohl seitens der Schwerhörigen als auch seitens der Akustiker. Dann kamen die digitalprogramierbaren
HG's und es begann so ganz langsam die "Inflation der einstellbaren Parameter". Nach und nach stiegen die Ansprüche der Akustiker und der SH. Es ist ein bischen wie mit den Handy's, mit den ersten konnte man telefonieren, hatte so 3-4 Klingeltöne zur Auswahl und ein monocromes Display. Heute gibt es App's, das Display hat TV Qualität, man surft damit im WWW und, ach ja, telefonieren kann man sogar auch noch damit. Ein Handy mit dem man "nur" telefonieren kann würde heute fast keiner mehr kaufen.
Das Problem dabei ist glaube ich:
Die Hersteller machen viele schöne Versprechen, die
HG's können zwar all das was die Hersteller sagen, aber ob das dann beim einzelnen SH auch wirklich so klappt ist immer so ne Sache und von sehr vielen Faktoren abhängig:
- wie sieht die Audiometrie aus, was is da noch möglich?
- ist der SH "fit" genug (geistig) noch um all die vielen Möglichkeiten zu nutzen?
- ist der Akustiker gut "genug" die machbaren Möglichkeiten auszureizen und sagt er dem SH auch wenn etwas vieleicht nicht machbar ist weil die Audiometrie es nicht hergibt?
Und dann sind da noch einige andere Probleme.
Grade hochgradig Schwerhörige / Resthörige tragen ihre
HG's meist den ganzen Tag, da kommen dann schnell 14-18 Std./Tag zusammen. Rechnet man das zusammen kommt da schnell eine wahnsinns Tragedauer zusammen in der sich der SH sehr an den Klang seiner Geräte gewöhnt.
Dann fällt natürlich die Umgewöhnung an neue
HG's immer schwerer. Dazu kommt, meiner Erfahrung nach, eine gewisse Ungeduld der SH mit den neuen HG's bzw. dem Klang der neuen HG's. Das meine ich jetzt nicht negativ für die Schwerhörigen sondern ich beziehe es auf die ganz konkrete Situation der SH. Die neuen Geräte klingen anders und ungewohnt, das führt in vielen Alltagssituationen grade bei hochgradiger Schwerhörigkeit dazu das es wieder vermehrt zu Missverständnissen kommt. Der SH will dann eine möglichst schnelle Änderung der Einstellung um hier wieder optimal zu verstehen. Die Gewöhnung läuft bei jedem SH deutlich unterschiedlich ab, der eine gewöhnt sich recht schnell, der andere langsammer. Aber die Gewöhnungsphase lässt sich nie deutlich "abkürzen"! Es gibt zwar den ein oder anderen Trick um es geringfügig zu beschleunigen aber viel macht dies meist nicht aus. Der SH muss, zusammen mit seinem betreuenden Akustiker, einfach durch diese Umgewöhnungsphase durch. Es führt einfach kein Weg daran vorbei, der Mensch ist eben "ein Gewohnheitstier"!
Zum Problem des "natürlichen" Klangs...
Wer legt denn fest was "natürlich" Klingt? Ich weis, blöde Frage eigentlich. Aber jeder SH legt den natürlichen Klang für sich selbst fest, da gibt es keine feste Regel, leider.
Und dann sind da noch einige "Konstruktionsbedingte Probleme" zu beachten:
- um einen möglichst sauberen Klang zu erhalten müssten die Hörer in den
HG's deutlich größer sein, aber viele SH wollen eben lieber kleine HG's haben und keine "riesen Schinken", leider geht auch bei den SuperPower HG's der Trend zu eher kleineren Baugrößen. Ästetisch mag das vorteilhaft sein, akustisch muss man dabei eben eine kompromiss machen zwischen Klang und Grösse. Wer also möglichst natürlichen klang im HP Beeich haben will muss zwangsläufig zu den "riesen Schinken" greifen.
- Störgeräuschrduzierungen bringen nachweislich in schwierigen Situationen ein deutlich besseres Sprachverstehen. Aber subjektiv sind sie Lautstärkekiller. Der SH der es bisher gewöhnt war das z.B. Autos recht laut waren muss plötzlich feststellen dass sie leiser sind. Und das braucht einfach Gewöhnung, ob ihr es wollt oder nicht, das dauert einfach etwas bis das Hörzentrum sich daran gewöhnt hat.
- Richtmikrofone haben im Prinzip den gleichen Effekt wie die Störgeräuschrduzierung. Sie verbessern je nach Situation das Sprachverstehen ganz enorm können aber auch zum Lautstärkekiller werden.
Ich erlebe bei der Arbeit mit den "dB-Junkies" (bitte nicht böse sein für den Ausdruck) also den häufig noch analog versorgten, hoch- und höchstgradig Schwerhörigen immer wieder folgende Situation:
Ich passe z.B. ein Chilli SP7 an, in der Anpasskabine (grade ausreichend gedämmt, bei der Einstellung der
HG's Türe offen) wird die Lautstärke als subj. angenehm und gut akzeptiert, die Diskrimination ist meist ganz ordentlich. Nun gehe ich mit dem SH vor die Türe (Fussgängerzone Ecke Hauptverkehrsstr.) und unterhalte mich dabei mit ihm, das verständniss bleibt dann trotz der meist recht hohen Umgebungslautstärke ziemlich gut. Aber plötzlich sagt der SH: "das is zu leise, ich verstehe schlechter..." Das Kuriose dabei ist dass das Verstehen trotz dem mehr an Störgeräuschen auf der Str. in den allermeisten Fällen nicht schlechter wird. Der SH versteht mich immernoch gut bis sehr gut.
Aber: unser Hörzentrum meldet: weniger Nebengeräusche (durch Störgeräuschreduzierung) = leiser = schlechteres Verstehen. Doch das ist häufig ein Trugschluss denn mehr subjektive Lautstärke bedeutet eben nicht zwangsläufig mehr Verstehen.
Ich habe eben erst diese Erfahrung gemacht:
SH (ca. 80Jahre, recht fit) seit ca. 1999 versorgt mit Senso C8+, aktueller dB opt. bds. etwa 50% bei 95-105dB. Geräte werden ca 8-9Std./Tag getragen, geht regelmäßig in Gesellschaft (Turnverein), bisher keine gravierenden Probleme mit den Senso's, beklagt aber in letzter Zeit Verständnissprobleme in Gesellschaft und beim TV.
Jetzt hat er von mir Oticon Acto Pro bekommen, ich habe ihm nicht viel Versprochen, eigentlich erstmal nur eine moderate Verbesserung in Gesellschaft und beim TV. Die Spontanakzeptanz für Lautstärke und Klang waren gut, die eigene Stimme war zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Also schicke ich ihn so los die
HG's 14 Tage testen... Nach 8 Tagen steht er wieder im Laden und ich rechne mit dem schlimmsten. Und was bekomme ich als Antwort? Eine Schachtel Pralienen und die Feststellung von ihm, er habe seit jahren nicht mehr so gut Verstanden und auch die Geräusche seien jetzt deutlich angenehmer, nicht mehr so aufdringlich / hart. Ich frage nochmal nach mit welchen Konkreten Vorstellungen er an den Test gegangen ist und bekomme die Antwort: "mit keinen eigentlich, ich wollte nur sehen obs besser wird, aber ich habe mir sonst keinerlei Gedanken gemacht und mich einfach überraschen lassen...". Was sagt mir das als Akustiker? Wenn der SH sich ergebnissoffen auf den Test einlässt, realistische Erwartungen hat und vor- und nachteile sauber gegeneinander abwägt, fällt der Test meist positiver aus als man es erwartet. Wer aber denkt dass er für viel Geld immer "die eierlegende Wollmilchsau" bekommt und sich vorallem auf die probleme konzentriert, der wird nie zu einem guten Ergebniss kommen, mit keinem HG dieser Welt!
Ein Hörgerät ist und bleibt ein Hilfsmittel, es ist kein neues Ohr! Und das wird auch in Zukunft leider erstmal so bleiben.
So, ich hoffe dies konnte meine Sicht der Dinge etwas darstellen.
LG