Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

Für Ratsuchende, Erfahrungsaustausch, Hilfestellungen
santiago
Beiträge: 734
Registriert: 26. Feb 2011, 08:46
14

Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#1

Beitrag von santiago »

Hallo!
Ich mache mal einen neuen Thread auf um den ursprünglichen Thread nicht weiter ins Offtopic zu führen :D

Finde es erstaunlich dass meine eher sachlich gemeinte These - "der auf einem Ohr taube Schispringer Schlierenzauer würde mit einem CI sicherlich besser hören aber vermutlich nicht für den ÖSV im Weltcup springen..." solche Reaktionen hervorgerufen hat.

"Ein CI macht seinen Nutzer nicht zum Behinderten" oder "Es ist falsch (gegenüber Eltern?) das Thema Behinderung anzusprechen" erinnert mich irgendwie an die heftigen "Sind GL behindert?" Diskussionen vor 15 Jahren im Taubenschlag. Manche GL argumentieren dabei sie seien nicht behindert sondern eine sprachliche Minderheit. Wir lautsprachlich orientierte HG und CI-Träger könnten dann ja auch sagen wir sind nicht behindert wenn die Technik funktioniert, die Umgebung nicht zu laut und der Gesprächspartner deutlich spricht? Wir sind dann auch nicht Behinderte sondern nur eine von diversen Variablen abhängige akustische Minderheit?

Ich glaube gerade im deutschsprachigen Raum neigen wir alle dazu eine Behinderung direkt mit dem Wert des Menschen verknüpfen. Wir Hörgeschädigten reagieren dann natürlich darauf und versuchen so gut es geht unsere Behinderung zu verdrängen, zu überspielen und zu verstecken. Als ich den Bericht vom Besuch eurer Bundeskanzlerin Merkel im Deutschen HörZentrum Hannover gelesen habe war ich schon bevor ich die Links zu den Zeitungsberichten geöffnet hatte ziemlich sicher wie die Frisur des kleinen Oskars aussieht :angel:

Selbst wenn wir durch die Technik so gut wie Hörende hören würden müssen wir uns immer noch damit herumplagen dass mache Menschen alleine mit dem "Andersein" schon Probleme haben oder dies in Konkurrenzsituationen auch gegen uns verwenden.

Ingeborg Bachmann schrieb "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar" und dies gilt meiner Meinung nach auch für das Thema Behinderung. Es ist auch den liebenden Mamis und Papis zumutbar ihnen zu sagen dass sie bei der Kombination gesundes/taubes Ohr nicht nur das Hören alleine in Betracht ziehen sondern Vor- und Nachteile genau abwägen sollen.

Gruß
santiago
fast-foot
Beiträge: 5624
Registriert: 12. Okt 2008, 15:55
16

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#2

Beitrag von fast-foot »

ABBC3_OFFTOPIC
Zitat aus dem Bericht hat geschrieben:Prof. Lenarz erläuterte der Kanzlerin, wie komplex der Vorgang des Hörens ist und wie das Cochlea-Implantat eine Gehörlosigkeit bzw. hochgradige Schwerhörigkeit überwinden kann,

[size=large]was jedoch bei Kleinkindern nur in 50 % der Fälle so gelingt, dass sie eine normale Sprachentwicklung durchlaufen können. Die anderen 50 % haben demgegenüber eine deutliche Benachteiligung, sofern sie nicht parallel die DGS erlernt haben[/size]
Mit diesem (gross geschriebenen) Zusatz wäre für mich die Berichterstattung inetwa ausgewogen. Ansonsten irgendwie typsich: Man hebt die positiven Beispiele (mit dem Musterschüler Oskar) hervor und blendet die vielen weniger erfolgreichen aus.

So entsteht das Bild, dass jede Behinderung überwindbar sei. Letzlich ist also nur eine überwindbare* Behinderung (eine vorbildliche Vorzeige-Behinderung) eine erwähnenswerte Behinderung und eine nicht überwindbare wird lieber verschwiegen.

Dabei wäre es doch gerade auch wichtig, sich Gedanken darüber zu machen und zu berichten, wie man mit letzteren umgehen soll.

*) ob die Behinderung nun wirklich als überwindbar bezeichnet werden kann, möchte ich an dieser Stelle gar nicht diskutieren
Zuletzt geändert von fast-foot am 27. Jan 2013, 14:18, insgesamt 1-mal geändert.
Ausgewiesener Spezialist* / Name: Wechselhaft** / Wohnsitz: Dauer-Haft (Strafanstalt Tegel) / *) zwecks Vermeidung weiterer Kollateralschäden des Landes verwiesen / **) Name fest seit Festnahme
Momo
Beiträge: 5186
Registriert: 23. Jul 2002, 21:46
23
Wohnort: Niedersachsen

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#3

Beitrag von Momo »

Hallo Santiago

erstmal vielen Dank für Eröffnung eines neuen Themas, um das Zerpflücken zu beenden.

Ich denke gerade im Bereich der Schwerhörigen ist das Verleugnen der (Hör-)Behinderung eines der großen Probleme, die viele Schwerhörige (aber auch CI-Kinder) von ihren Eltern oder auch Umfeld mitgegeben bekommen. Das ist u.a. eines der wichtigsten Argumente im Bereich der Beschulung hörgeschädigter Kinder ein Fach „Hörgeschädigtenkunde“ einzuführen, in dem sich die Kinder (altersentsprechend) u.a. mit sich, ihrer Hörschädigung, dem Behinderungsbegriff auseinandersetzen müssen/ können.
Statt seinem hg Kind zu vermittelnd, dass es lernt für seine Belange/ Bedürfnisse einzutreten, setzen viele Familien alles daran, dass ihr Kind völlig normal sein soll/ nach außen wirken soll. Das wird natürlich dann durch Werbung der HG und Ci Firmen u.a. auch unterstützt.
Versteht mich nicht falsch: ich finde es im Prinzip auch gut mein hg Kind „normal“ zu behandeln. das heißt für mich aber nicht, dass ich versuche mein Kind nach außen als guthörend/ ohne Hör- oder Verstehproblem „verkaufe“. Vielmehr meine ich damit, dass ich es seinen Bedürfnissen entsprechend (so wie ich es bei meiner guthörenden Tochter auch mache) erziehe. Dazu gehört für mich bei einem hg Kind auch, dass es sich an Regeln halten muss usw., aber auch –und das finde ich wichtig- dass es lernt mit seiner Hör- und ggf. Kommunikationseinschränkung umzugehen.
Grundvorrausetzung dafür aber ist, dass wir uns als Eltern eingestehen, dass unser hg Kind eben nicht „normal“ ist, sondern in einigen Bereichen anders/ andere Bedürfnisse hat. Meine Aufgabe ist es doch meinem Kind so viel Selbstbewusstsein zu vermitteln, in dem es spürt, dass es sich für seine GL/ SH oder sein HG/ CI nicht schämen muss, sondern dass ich als Mutter es genauso liebe wie es ist und dass es mir nicht vormachen muss alles zu verstehen usw., damit es zunächst einmal seine Bedürfnisse/ Einschränkungen überhaupt erst einmal erkennen und annehmen kann, um dann auch Stopp zu sagen oder eben Gesprächsregeln usw. einzufordern.
Von daher finde ich eben Versprechungen wie „wenn ein Kind ein CI bekommt kann es alles machen“ unverantwortlich, denn
1. bleibt es auch mit CI hörbehindert bzw. in einigen Situationen sogar komplett taub 8bei beidseitiger Taubheit)
2. kann keiner voraussagen wie gut ein Kind mit CI wirklich hört/ versteht
3. kann keiner voraussagen wie gut ein CI Kind die Lautsprache beherrschen wird.
Das heißt also, dass es immer mal wieder vorkommen kann, dass ein CI Kind an Grenzen stößt (jeder anders) und mehr oder weniger auf Rücksichtnahme in der Kommunikation angewiesen ist. Hat es bis dahin das Gefühl vermittelt bekommen, dass die Erwartungshaltung aller um es herum die ist normal zu funktionieren mit CI, ist es zwangläufig so, dass es den Eindruck haben muss alle zu enttäuschen, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden können. Folge kann also sein, dass es versucht nicht aufzufallen, nicht nachzufragen und dadurch teilweise wichtige Infos zu verpassen oder eben 8so wie Maryanne es auch angedeutet hat) als dumm zu gelten, da eben „schwer von Begriff“, weil das Umfeld nicht kapiert, dass das Falsch- oder Nichtverstehen nichts mit Dummheit, sondern mit Schwerhörigkeit zu tun hat.
Dann ist also die Frage:
Gilt man lieber als (hör-)behindert, weil man schwerhörig ist und die Leute wissen aber „der hört nicht alles so gut und fragt deshalb manchmal nach oder reagiert nicht/ unerwartet, ist aber nicht doof. Oder aber wirkt man manchmal lieber „schwer von begriff“, weil keiner wissen darf, dass man eine Hörbeeinträchtigung hat.
Dazu gibt es eine „Geschichte“, die ich mal von einem Audiotherapeuten in Kopie bekommen habe zum Thema Schwerhörigkeit (Deshalb! Plädoyer für Schwerhörige).

P.S.: nun die Frisur ist nicht überraschend, wenn man mal unterstellt, dass sie als "Versteck" dienen soll. Es gibt aber tatsächlcih auch CI Kinder, (auch Jungs) die wie viele andere Jungs auch die haare gerne länger tragen wollen. Von dhaer können wir den grudn für Oskars Frisur natürlich nicht sicher klären.
Grüße
Zuletzt geändert von Momo am 27. Jan 2013, 14:43, insgesamt 2-mal geändert.
Wiebke und Sohn (fast 21 Jahre) mit 1 HG und 1 CI
Dorena
Beiträge: 89
Registriert: 22. Dez 2012, 13:29
12
Wohnort: Land Brandenburg

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#4

Beitrag von Dorena »

Ach ja.santiago und das ist unabhängig von der Art der Behinderung auch meine Erfahrung. Wir werden die welt und die Menschen nicht ändern können,sondern wir können nur Wege der Selbstbehauptung suchen,finden,gehen. Gruss Dorena
:) Dorena seit 4.Lebensjahr bds. an Taubheit grenzend sh.,
santiago
Beiträge: 734
Registriert: 26. Feb 2011, 08:46
14

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#5

Beitrag von santiago »

Hallo!
Es ist natürlich klar dass beim Besuch der Kanzlerin das Positive hervorgehoben wird weil man die 60 Millionen für den Neubau des MHH-Hörmedizininstituts "NIFE" ja auch durch Erfolge rechtfertigen muss.

Mein Beitrag war grundsätzlich aber natürlich nicht als Angriff auf das CI gedacht!

Das CI bietet für taube Menschen die Möglichkeit zu hören und aus. Schade finde ich nur die starke Konzentration auf das Hören alleine und so gesehen sind es manchmal die Eltern selbst welche ihre Kinder auf die Behinderung reduzieren.

Hören können ist toll und wichtig aber man sollte auch mal kritisch hinterfragen dürfen ob es immer glücklich macht und die eigene Persönlichkeit fördert? Weltweit gesehen gibt es sicherlich inzwischen 100tausende an Taubheit grenzende SH HG-Träger und CI-Träger. Von diesen vielen Menschen gibt es wiederum sicherlich einige hundert Menschen welche in ihren Bereichen zu ganz außergewöhnlichen Leistungen fähig wären. Dank der Technik gehen wir in "normale" Schulen, wir machen Abitur, wir studieren und wir kommen in der hörenden Welt zurecht. Dies kostet uns aber so viel Kraft dass kaum wer von uns es schafft seine Fähigkeiten voll zu entfalten und in irgendeinen Bereich an die Spitze zu kommen.

Ja wir hören aber wo sind die HG welche sich in den Bereichen Sport, Kultur oder Wirtschaft wirklich durchsetzen konnten?

Es gibt in Ö eine GL Behindertensprecherin im Parlament und bei Olympia läuft ein Beinamputierter mit seinen Prothesen Weltklassezeiten. Wo sind unsere Weltklasseleistungen?

Gruß
santiago

Nachtrag:
Danke für eure Beiträge! Ich habe bei meiner Antwort jetzt nur fast-foots Beitrag gesehen und muss die anderen Beiträge erst noch lesen :)
Momo
Beiträge: 5186
Registriert: 23. Jul 2002, 21:46
23
Wohnort: Niedersachsen

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#6

Beitrag von Momo »

hallo santiago

ja klar haben sie die positiven seiten hervorgehoben, weil sie geld wollten.
ich finde auch, dass das ci eine tolle sache ist (schließlich trägt mein sohn auch eins). dennoch denke ich muss man eben die waage finden und es eben nicht immer als "wunder" verkaufen.
ich bin u.a. auch ehrenamtlich in einer elterngruppe. dort machen wir immer wieder beaknntschaft mit eltern die total entäuscht sind, wenn sich das versprochene wunder nicht einstellt.
oder aber, und das finde ich noch schlimmer, auf eltern, die sich für ihr kind -trotz oder auch mit ci- wünschen, dass es gebärden (in welcher art auch immer sei erstmal nebensächlich) lernt. und was müssen diese eltern gegen hürden (in den köpfen) kämpfen. da sind aussagen der sh schulen und ärzten nach dem motto "wenn hr kind erstmal das ci hat, dann müssen sie sich über gebärden überhaupt keine gedanken mehr machen" keine seltenheit. nur nach großem widerstand der eltern sich damit nicht zufrieden zu geben, wird dann halbherzig eingelenkt, dass es ja "in diesem besonderen fall" vielleicht eine gute idee sei.
ich habe gerade erst wieder das gespräch mit einer mutter gehabt, kind trägt 2 ci und besucht den sh kiga. vorher war es in einer integrativen krippe, wo zumindest guk gebärden genutzt wurden und angeboten wurden. die mutter hat im elterngespräch des sh kigas den wunsch geäußert, dass ihr ci-kind neben der lautsprachgerichteten sprachtherapie zusätzlich auch gebärden (LBG) angeboten bekommt. sie sah sich dann mit folgenden argumenten konfrontiert, die natürlich allesamt dagegen sprechen
1. sie wissen gar nicht wie sie das leisten sollen, da ja die sprachtheraie schon 90 minuten in anspruch nimmt und dort der schwerpunkt auf lautsprache läge, insbesonder aber auch darauf das "richtige zuhören" (ohne gestik, mimik, gebärde, mundbild) läge
2. das kind doch so toll hörgerichtet sei und auch so tolle fortschritte in der lautsprache macht, dass es gar nicht nötig sein gebärden anzubieten
3. dass ein gebärdenangebot zum jetzigen zeitpunkt die fortschritte im lautspracherwerb gefährden könnten
4. dass auch in falle eines ausfalls oder nicht tragens des cis gebärden gar nicht helfen würden, da ja das umfeld (also fremde) gar nicht geärden könnten
5. die anderen eltern der gruppe vielleicht gar nicht wünschen, dass ihre kinder in kontakt mit gebärden kommen
gleichzeitig aber ist ein ci kind in der gruppe, dass auch nach gut 2 jahren überhaupt keine anstalten macht zu sprechen (und zu verstehen), so dass überlegt wird diesem kind vielleicht jetzt doch mal gebärden anzubieten. aber da müsse man erst mit den eltern noch reden. sollten die dem zustimmen, dann würde mit diesem kind geärden gemacht in der therapie und im direkten gespräch und mann könne meiner bekannten dann ja das material dann für zuhause auch zukommen lassen 8es wird dann ein gebärdenmpaae eingeführt).
auf die frage, ob es wirklcih sinnvoll ist, dann die anderen kinder der gruppe nicht einzubeziehn und gebärden ganz einfach i gruppenalltag stattfinden zu lassen, kam dann wieder argument 5 ins spiel.
haarsträubend, denn wie soll dann das einzige gebärdende kind (so würde es ja dann sein) mit allen anderen kommunizieren...
nun ja- die mutter war recht konsquent in ihrer forderung, so dass der kiga sich nun überlegen will wie sei es machen und dann sie informieren will. es bleibt also spannend...

grüße
Wiebke und Sohn (fast 21 Jahre) mit 1 HG und 1 CI
Sabine
Beiträge: 838
Registriert: 18. Jul 2002, 17:57
23

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#7

Beitrag von Sabine »

Hallo,

interessanter Thread ... habe leider gerade nicht die Zeit, alles ganz genau zu lesen und entsprechend zu antworten, aber das werde ich nachholen (zumindest das intensive Lesen).

Eine Frage, die sich mir aber gestern schon in dem anderen Thread stellte, nachdem ich Deine Info über Schlierenzauer gelesen hatte, santiago:

Würde er mit CI wirklich nicht für den ÖSV springen?

Diese Aussage beschäftigt mich. Vielleicht bin ich zu naiv? Vielleicht ist mein Sohn nicht an die entsprechenden Grenzen gestoßen und hat mit Diskriminierung bisher kaum Erfahrung gemacht ... aber wenn die Leistung stimmt, warum sollte ein CI-Träger nicht im ÖSV mitspringen?
Dabei gehe ich natürlich davon aus, dass der Gleichgewichtssinn etc. nicht betroffen sind.

Nicht, dass ich jetzt jeden GL in den Leistungssport treiben möchte und ich habe auch nichts gegen GL-Fußballmannschaften, Deaflympics etc. Aber ich möchte die auch nicht als "Auffangbecken" sehen für die, die es nicht besser können.
Die Gründe, sich als GL ausschließlich mit "Gleichgesinnten" messen zu wollen/können, sind sicher vielfältig.

Aber bei entsprechender Leistung und zufällig auch einem (oder gar zwei) CIs UND dem persönlichen Wunsch sollte doch der Weg nicht zwangsläufig in den Behindertensport führen müssen?
Wer stellt denn diese Grenzen auf? Die Gesellschaft mit ihren Vorurteilen?
Für mich auch egal, wer es tut, für mich sind derartige Grenzen nicht akzeptabel und für meinen Sohn zum Glück auch nicht.

Viele Grüße,
Sabine
Maria10
Beiträge: 167
Registriert: 17. Jan 2013, 18:13
12

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#8

Beitrag von Maria10 »

noch etwas zum Thema schwerhörig- "behindert"

wurde Euch sowas eigentlich auch im Leben schon öfters gesagt " ach, das ist
doch gut für Dich, wenn Du vieles nicht verstehst, was andere Leute so sagen, da bleibt Dir im Leben vieles erspart...
Kann man das wirklich so sehen, ich weiss nicht so recht....

Zur mir sagte auch jemand mal , vielleicht verstehst DU gerade dann andere Menschen schlecht, wenn Du dran DENKST , daß Du schwerhörig bist.
Das kann gut sein, denn wenn ich drandenke, verkrampfe ich mich eher
und verstehe dann weniger, als wenn ich locker bin und eben nicht
dran denke daß ich schlecht höre... da ist schon was dran.

Ist manchmal auch ganz interessant, was andere Menschen einem für Tipps geben...
Zuletzt geändert von Maria10 am 27. Jan 2013, 17:18, insgesamt 2-mal geändert.
santiago
Beiträge: 734
Registriert: 26. Feb 2011, 08:46
14

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#9

Beitrag von santiago »

Hallo Sabine!
Sabine hat geschrieben:Würde er mit CI wirklich nicht für den ÖSV springen?
Du musst schon als Niederösterreicher besser sein um gegen die Sportler der "bergigen" Bundesländer eine Chance zu haben :}

Niki Lauda sagte mal "Da draußen gibt es tausende Burschen die schneller fahren können aber ICH sitze im Nummer 1 Ferrari!".
Anders gesagt - hätte sich Lauda seine Verbrennungen als Kind geholt würde er vermutlich F1-Autos nur vom Fernsehen her kennen 8-)

Dass die GL eigene Spiele veranstalten würde ich in erster Linie durch die "Wir sind nicht behindert sondern eine sprachliche Minderheit" Ideologie gegründet sehen. Dadurch macht man sich bei den anderen Behindertenverbänden natürlich nicht nur Freunde. Bei rein GL-Veranstaltungen ist auch die Kommunikation problemloser und neben dem Sport spielen auch die, ähhh sagen wir mal, gesellschaftlichen Aspekte eine sehr große Rolle :}

Den Spitzensport habe ich aber nur als Metapher für alle Situationen mit starkem Konkurrenzdruck verwendet. Kennt ihr lautsprachlich orientierte stark SH oder CI-Träger die es in der Politik, Wirtschaft oder Kultur ganz nach oben geschafft haben?

Gruß
santiago
Sabine
Beiträge: 838
Registriert: 18. Jul 2002, 17:57
23

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#10

Beitrag von Sabine »

Hallo,

finde das Thema wirklich sehr spannend.
Mit dem Begriff "behindert" an sich habe ich kein Problem, allerdings ist er mir viel zu schwammig. Daher würde ich, wenn ich meinen Sohn irgendwo beschreiben/vorstellen müsste, auch nicht sagen, dass er behindert ist, sondern es eben ein bisschen genauer darstellen.
Das liegt u.a. daran, dass wir im engeren Umfeld einige Menschen mit schwersten Körperbehinderungen haben ... der einzige Unterschied zwischen deren SBA und dem meines Sohnes ist das aG, das mein Sohn nicht hat. Ansonsten ist da alles gleich ...
Behindert ist nicht gleich behindert, daher reicht mir das nicht als Beschreibung in unserem persönlichen Fall.

Hallo Santiago,

Leistungssport an sich ist ja schon ein Thema für sich. Mein Ältester macht Leistungssport, und dass da nicht alles fair zugeht und es manchmal noch nicht mal nach Leistung geht, weiß ich wohl.

Trotzdem sehe ich nicht, wo das CI für meinen Sohn ein Hindernis darstellen sollte/könnte. Bis jetzt hat es ihm noch keine Tür versperrt. Wenn man mal von einigen bornierten Entscheidungsträgern absieht, die vor 12 Jahren meinten, der Besuch eines Regelkindergartens müsste ihm unbedingt verwehrt werden. Aber auch das hat sich letztlich zum Guten gewendet. Ohne diese Ablehnung wäre er jetzt wohl auf einer deutschen Regelschule. So ist er, wie seine Brüder, auf einer internationalen Schule und spricht zwei Lautsprachen fließend. Hätte ich ihm wohl sonst so nicht angeboten.

Deine Einschätzung des GL-Sports teile ich. Bleibt ja auch jedem selber überlassen. Aber wenn es rein um Leistung geht und man sich eben bewusst gegen diesen "Schonraum" entscheidet, müsste das doch möglich sein.

Ich sehe wirklich nicht, warum mein Sohn (nur als Beispiel, ich kann ja nicht verallgemeinern) Konkurrenzdruck scheuen sollte. In der Schule sowie auch im Sport ist er einer von vielen, da nimmt niemand Rücksicht, Warum sollte er es nicht ganz nach oben schaffen, FALLS er das möche. Muss er ja nicht ...

LG
Sabine
blacky_kyra
Beiträge: 289
Registriert: 19. Apr 2012, 19:00
13

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#11

Beitrag von blacky_kyra »

Ich denke Sabine da bist du nicht die einzige.

Der Begriff Behinderung ist beim Großteil der Gesellschaft eng mit der Vorstellung an eine Körperbehinderung bzw. geistige Behinderung geknüpft. Wer denkt da schon an die Hörbehinderung?

Beim Begriff Schwerhörigkeit, ist auch sofort das Bild eines HG-Trägers um die 70 präsent. Das zeigt mir deutlich, dass das Thema in der Gesellschaft von Vorurteilen und Missverständnissen bestimmt ist.

Rein von der Erziehung her, werde ich meinem Sohn auch beibringen offen mit dem Handicap umzugehen. Ich selbst tue es so und verberge seine HG’s nicht. Auch wenn man mitleidige Blicke erntet, weil das Bild eines 1-jährigen der 2 HG’s trägt, doch nicht so ins Bild der Leute passt. Die Reaktionen bei einem Altersschwerhörigen wären da mit Sicherheit anders …

Zum Thema CI und Sport wird hier wohl das hohe Verletzungsrisiko vergessen, das bestimmte Sportarten mit sich bringen. Es ist abzuwägen ob man dieses Risiko als CI-Träger eingeht. Ansonsten hat die Hörbehinderung an sich, für mich keine einschränkende Auswirkung auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Aber eben auf die Kommunikation, welche in Mannschaftssportarten von Bedeutung ist.
santiago hat geschrieben:Du musst schon als Niederösterreicher besser sein um gegen die Sportler der "bergigen" Bundesländer eine Chance zu haben


Wie meinst du das? Was hätte deiner Meinung nach das CI für Auswirkungen auf seine sportlichen Leistungen bzw. Karriere?
Den Spitzensport habe ich aber nur als Metapher für alle Situationen mit starkem Konkurrenzdruck verwendet. Kennt ihr lautsprachlich orientierte stark SH oder CI-Träger die es in der Politik, Wirtschaft oder Kultur ganz nach oben geschafft haben?
War jetzt selbst neugierig und wenn man mal googelt wird man überrascht sein wer es alles trotz Hörbehinderung an die Spitze geschafft hat. Mal kurz aufgezählt:

Politik: Günther Beckstein – bayrischer Landesminister (trägt 1 CI)
Schauspieler: Mario Adorf und Pierre Brice (tragen HG’s)
Olympia-Teilnehmer:
2012: Volleyballer David Smith aus den USA (hochgradig sh)
2008: Kunst-und Synchronspringer Chris Colwill (sh)
2004 u. 2008: Basketballerin Tamika Catchings (gl) gewann 2 mal die Goldmedaille
2000: Schwimmer Terence Parkin aus Südafrika (gl) gewinnt die Silbermedaille im Brustschwimmen über 200m

Und noch viele andere……!

Ich selbst bin normal hörend und kann solche Ergebisse nicht vorweisen :lol:
Fazit: Es kommt nur darauf an, was wir aus unseren Stärken machen.

LG Bettina
Zuletzt geändert von blacky_kyra am 28. Jan 2013, 10:57, insgesamt 1-mal geändert.
:} Sohnemann (geb. 2011) trägt links ein HG Phonak-Q50 UP bei 91% HV
und rechts Med-el CI: Sonnet:}
santiago
Beiträge: 734
Registriert: 26. Feb 2011, 08:46
14

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#12

Beitrag von santiago »

Hallo Bettina!
Leute wie ein Günther Beckstein oder auch ein Wolfgang Schäuble waren/sind in einer ähnlichen Situation wie ein Niki Lauda und "zählen nicht" :}
Sie alle haben ihre Behinderung erst bekommen nachdem sie sich als "Nichtbehinderte" eine hohe Position erarbeitet hatten.

Natürlich gibt es, besonders in den sehr einsamen Sportarten wie Schwimmen, auch eine Menge hörgeschädigter Sportler wie neben Parkin auch Marcus Titus. Wie viele kommen aber davon a.) aus Europa und b.) haben ein CI?

Im Sport könnte man ja noch mit der ungewohnten Stille/Verletzungsgefahr argumentieren warum es mehr GL Spitzensportler als HG-/CI - Spitzensportler gibt. Aber obwohl wir ja viel besser hören "verlieren" wir doch sogar in einem der kommunikationsintensivsten Bereichen überhaupt - der Politik - den Vergleich gegenüber den GL :eek:

In Österreich sitzt Helene Jarmer für die Grünen im Parlament und in Deutschland fällt mir auf die Schnelle Julia Probst von den Piraten ein. In Ungarn und glaube in Holland gibt es auch jeweils einen gehörlosen Politiker/in im Parlament.

Von daher halte ich meine These aufrecht dass wir stark SH HG-Träger und CI-Träger einfach so viel Kraft in der hörenden Welt verbrauchen dass wir bei gleichem Talent ja nicht einmal mit den Erfolgen der GL mithalten können :(

Gruß
santiago
blacky_kyra
Beiträge: 289
Registriert: 19. Apr 2012, 19:00
13

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#13

Beitrag von blacky_kyra »

santiago hat geschrieben:Leute wie ein Günther Beckstein oder auch ein Wolfgang Schäuble waren/sind in einer ähnlichen Situation wie ein Niki Lauda und "zählen nicht"
Sie alle haben ihre Behinderung erst bekommen nachdem sie sich als "Nichtbehinderte" eine hohe Position erarbeitet hatten.
Sorry dann hatte ich deinen Hinweis nicht ganz verstanden. Jetzt leuchtets mir ein was du meintest.
:} Sohnemann (geb. 2011) trägt links ein HG Phonak-Q50 UP bei 91% HV
und rechts Med-el CI: Sonnet:}
franzi
Beiträge: 1438
Registriert: 22. Jul 2003, 19:55
22

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#14

Beitrag von franzi »

Wer weiß ob der ÖSV ihn überhauptspringen lassen würde, wegen dem Implantat. Klar gibt es noch andere Sportarten wo etwas passieren kann mit dem Implantat aber wenn er beim springen auf den Kopf knallt...
seit geburt schwerhörig. erste Hörgeräte mit 11jahren, mittlerweile Hochgradig sh bis an taubheitgrenzende schwerhörig
Links seit 12.2010 CI , re-implantation Mai.2011 und recht oktober.2014 CI.
maryanne
Beiträge: 1216
Registriert: 22. Okt 2008, 10:32
16

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#15

Beitrag von maryanne »

Für mich stellen sich da unterschiedliche Fragen:

Ich sehe auch nicht, warum ein CI-Träger - egal ob er die Hörschädigung von Kindheit an oder seit dem Erwachsenenalter hat - als Sportler nur bei den Paralympics starten dürfen soll.

Wenn es um die Politik oder den Beruf geht, finde ich die angeführten Beispiele der Politiker nicht hilfsreich, weil es sich dabei um Ausnahmen handelt. Helene Jarmer ist auch eine Ausnahme.

Es ist für von Kindheit an Hörgeschädigte schon etwas schwieriger, in akademische und kommunikative Berufe zu kommen und in die Politik zu gehen. Spätertaubte verlieren nicht selten mit dem Gehör auch den Arbeitsplatz bzw. die bisherige Funktion (auch wenn sie ein CI haben).

Meiner Erfahrung nach gibt es unterschiedliche "emotionale" Empfindungen und Interpretationen bei der Bezeichnung "behindert". Als behindert werden Leute im Rollstuhl, Blinde mit Blindenstock und Armbinde und auch "sichtbar" geistig Behinderte (die politisch korrekt: Menschen mit Lernbehinderung heißen müssen)
wahrgenommen. Es kommt nicht selten vor, dass Schwerhörige den Begriff "Behinderung" weit von sich weisen, wenn es um sie selbst geht (bei GL ist das offenbar noch häufiger der Fall.)
"Ich binbehindert" ist schon noch psychisch ein weiterer Schritt zur Akzeptanz, zusätzlich zu "ich bin schwerhörig / taub / gehörlos).

Damit meine ich nicht, dass es objektiv so ist, sondern dass es von manchen Menschen so wahrgenommen wird. Vielleicht in Deutschland insofern noch besonders, weil wir hier den Schwerbehindertenausweis haben, der nach Grad der Behinderung "klassifiziert".

Maryanne
Sabine
Beiträge: 838
Registriert: 18. Jul 2002, 17:57
23

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#16

Beitrag von Sabine »

Hallo nochmal,

die früh implantierten Kinder "von damals" kommen ja auch erst so langsam ins Erwachsenenalter.
Ich persönlich sehe für meinen Sohn (knapp 13) kein Hindernis, in die Politik oder irgendwelche kommunikative Berufe zu gehen. Auch im Mannschaftssport besteht er auf recht hohem Niveau.
Er weiß, dass er hörbehindert ist, aber er fühlt sich nicht so. Wir mussten es ihm wirklich erklären, da er sich noch nicht mal hörbehindert fühlt. Ich kann es ja schlecht in ihn reinprügeln ;-)
Für ihn gehört es dazu, in ganz seltenen Situationen (selbstgewählt) nichts zu hören, dadurch fühlt er sich aber nicht behindert/eingeschränkt.

Und klar ist er behindert, hörbehindert. Für mich gehört dazu, den schwammigen Begriff "Behinderung" genauer zu belegen.
Beispiel Anmeldung beim Fußballverein. "Mein Kind ist behindert." Diese Aussage nützt den Verantwortlichen ja erstmal gar nichts und gibt auch keinen Hinweis darauf, welche besonderen Hilfen das Kind evtl. bräuchte.
Was hat er denn? Epilepsie? Verhaltensauffälligkeit? Motorische Einschränkung? Oder eben z.B. eine Hörbehinderung.

Ich weiß, dass ich unsere Erfahrungen nicht verallgemeinern darf. Das tue ich auch nicht. Aber genauso wenig darf man andere Aussagen auf alle verallgemeinern. Es gibt nicht DIE Behinderten, aber auch nicht DIE CI-Träger, DIE Gehörlosen etc.
Und ich kann ja nur für meinen Sohn sprechen ... für ihn ist das Bestehen in der hörenden Welt nicht anstrengender als z.B. für seine normalhörenden Freunde. Er steht ihnen auch in nichts nach, im Gegenteil.

Grenzen sind dafür da, verschoben zu werden ;-)

Liebe Grüße,
Sabine
fast-foot
Beiträge: 5624
Registriert: 12. Okt 2008, 15:55
16

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#17

Beitrag von fast-foot »

Hier ein paar Gedanken aus meiner Sicht:
Sabine hat geschrieben:Daher würde ich, wenn ich meinen Sohn irgendwo beschreiben/vorstellen müsste, auch nicht sagen, dass er behindert ist, sondern es eben ein bisschen genauer darstellen.
Weil Du befürchtest, dass er sonst stigmatisiert würde? Und dass ihm daraus Nachteile erwachsen könnten?

Genau diese Differenzierung (wenn nicht vorgenommen) könnte dann behindern (nicht die Behinderung selbst). Wobei eben für die einen sogar mit CI eine starke Einschränkung der verbalen Kommunikationsfähigkeit besteht (sogar für sehr viele).

Der Grad einer Hörbehinderung wird ohne Hilfsmittel bestimmt. Jemand, der ohne Hilfsmittel beinahe taub ist, ist nun ein Mal schwer behindert*. Es kann auch die Gefahr einer Entsolidarisierung in sich bergen, im Sinne von: Zum Glück kann ich dank Technik "normal funktionieren". Also gehen mich die "wirklich Behinderten" nichts an.
Ein wirkliches Problem könnte jedoch sein, dass ein falsches Bild entsteht (dass man mit CI normal hören könne und dass jeder ohne Einschränkung kommunizieren könne).
Sabine hat geschrieben:Warum sollte er es nicht ganz nach oben schaffen, FALLS er das möche. Muss er ja nicht ...
Der Wille alleine reicht nicht aus (meistens ist der volle Einsatz sämtlicher Ressourcen und die Fokussierung auf ein einziges Ziel erforderlich, das über alles andere gestellt werden muss), sondern ist eine notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung.

Daneben müssen auch die entsprechenden Potentiale vorhanden sein (und wirklich heraus ragend sind sie eben nur in den seltensten Fällen; sonst wären sie ja nicht heraus ragend; bei ungerechtfertigtem Aufstieg reicht allerdings auch weniger. Und Klassenbester zu sein reicht wohl kaum aus. Es braucht etwas ganz Besonderes, wobei schulische Leistungen oftmals nebensächlich sind (z.B. auch wegen massiver Unterforderung oder/und Desinteresse (man fokussiert sich bereits vorwiegend auf das Gebiet, auf dem man später Spitzenleistungen erbringen wird).

Und aus der Sicht der Personen, welche über den Aufstieg (die Karriere) entscheiden können/müssen, wird auffallen, dass jemand CIs trägt. Je nachdem weiss man zu wenig darüber. Oder man kennt "Beispiele", wo die Kommunkation nicht gut klappte. Und man wird abwägen. Kann die Behinderung ein Nachteil sein? Der Betreffene ist abhängig von Technik. Was ist, wenn ein Implantat ausfällt? Was, wenn die Scanner in Flughäfen plötzlich nicht mehr mit seinem CI kompatibel sind (der CI-Träger, in einer wichtigen Position, könnte einen wichtigen Termin (von dem die weitere Existenz des Unternehmens abhängt) nicht wahr nehmen?).

Weshalb sollte jemand dieses Risiko auf sich nehmen? Wenn ihm eine Alternative mehr oder weniger gleicher Leistungsfähigkeit "ohne (bekannte) Einschränkung" zur Verfügung steht?

Weil Behinderte eine spezielle Sichtweise in ein Unternehmen einbringen können, sind sie auch ein Gewinn.

Diese spezielle Sichtweise ist aber kaum mehr vorhanden, wenn sie versuchen, sich möglichst wie jemand ohne Behinderung zu fühlen, zu denken, zu funktionieren etc. (dürfen sie natürlich, nur sollte dies nicht beim Versuch bleiben, sondern ein Selbstverständnis sein; die besondere Sichtweise (die jedoch im Moment eh nicht gefragt scheint) fällt dann aber weg).

Entscheidender dürfte jedoch der Umstand sein, dass äusserst erfolgreiche Menschen häufig einen eingeschränkten Fokus aufweisen dürften. Der Erfolg steht über allem. Und da hat etwas, das diesem im Wege stehen, oder, entscheidender vermutlich noch, nach einer Auseinandersetzung mit anderen Werten (als "oberflächlicher" Erfolg, Leistung, unbegrenzte Möglichkeiten; also auch menschlichen Aspekten) verlangen könnte, die man vielleicht auszublenden versucht (weil eben der Erfolg das einzige ist, was zählt, hat sonst gar nichts platz; also schon gar nicht etwas, was mit Scheitern (aus erfolgsorientierter Sicht), Menschlichkeit oder nach vertiefter Auseinandersetzung mit deren Aspekten (auch in Bezug auf die eigene Persönlichkeit) zu tun haben könnte. Vor diesen will man ja gerade fliehen...

Daher sind vermutlich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (für eine steile Karriere sind die Eigenschaften eines Psychopaten eher vorteilhaft, nicht aber für die betreffende Institution) zum Teil wichtiger als eine herausragende Leistung, die z.T. auch nicht angemessen beurteilt werden kann.
Ausserdem ist heute vermutlich der Faktor Vermarktung eminent wichtig geworden (Forschung muss zuerst ihre Finanzierung sichern; hierdurch muss sie das Projekt unrealistisch positiv anpreisen; nur (vorgetäuschte) Erfolge sichern weitere Gelder; die Markteinführung nicht ausgereifter (oder gar unbrauchbarer) Produkte versucht, den Untergang des Projekts abzuwenden etc.).
Für ein Unternehmen mit Schwerpunkt Technik könnte eine Person mit CI in einer Spitzenposition vielleicht auch das Image (in einem positiven Sinne) unterstreichen, dass mit Technik alles machbar ist etc.

Zum Sport:

Ein Aufstieg an die Spitze scheitert bei Schwerhögigen vermutlich meist nur schon am eingeschränkten Gleichgewichtssinn. Doping dürfte allerdings auch für CI-Träger problemlos möglich sein.
ABBC3_OFFTOPIC
*) hier noch die Begründung, warum ein CI-Träger (sogar mit Hilfsmittel) nicht annähernd normal hört, zur Veranschaulichung habe ich eine relativ einfach zu durchschauende Sprachstrategie ausgewählt:

"Die FFT-Strategie (FFT = Fast-Fourier-Transformation) wird vom Digisonic-Processor verwendet, der das Eingangssignal in 64 Frequenzbändern von jeweils 122 Hz (im Frequenzbereich 100-7800 Hz) analysiert.

Mit Hilfe der 15 Elektrodenpole wird sequenziell nacheinander von basal nach apikal mit einer Stimulationsrate, die der Grundfrequenz Fo entspricht, oder die vom Anwender zwischen 125 und 400 Hz fixiert wird, stimuliert. Dabei ist die Impulsdauer des Stimulus für jeden einzelnen Elektrodenpol an die Fourier-Transformation - proportional zur Energie des Frequenzbandes
- gebunden."

Das heisst, dass ein CI (nach meiner groben, ohne grossen Zeitaufwand vorgenommenen Einschätzng) um einen Faktor in der Grössendordnung 100'000 mal weniger Informationen an den Hörnerv weiter gibt als eine normal entwickelte Cochlea.
Gruss fast-foot
Zuletzt geändert von fast-foot am 28. Jan 2013, 21:37, insgesamt 2-mal geändert.
Ausgewiesener Spezialist* / Name: Wechselhaft** / Wohnsitz: Dauer-Haft (Strafanstalt Tegel) / *) zwecks Vermeidung weiterer Kollateralschäden des Landes verwiesen / **) Name fest seit Festnahme
Sabine
Beiträge: 838
Registriert: 18. Jul 2002, 17:57
23

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#18

Beitrag von Sabine »

Schade, fast-foot, Du hast entweder meine Ausführungen nicht gelesen oder aber leider meine Gedanken nicht verstehen können.
Da ich ja sehr klar beschrieben habe, warum es für mich nicht ausreicht zu sagen, dass mein Sohn behindert ist, wiederhole ich mich nicht nochmal.
Wie mehrfach gesagt, behindert ist nicht gleich behindert. Es nützt einfach nichts, wenn ich irgendwo sagen, dass er behindert ist. Das liefert dem Gegenüber keine brauchbaren Infos.
Was nichts an der Tatsache ändert, dass mein Sohn behindert ist.

Nein, ich befürchte durchaus nicht, dass meinem Sohn irgendwo Nachteile entstehen könnten. Entscheidend ist ja sein Auftreten und wie er zurecht kommt, wie er sich fühlt, wie er ankommt und nicht, welches Label er bekommt.
Er wird auch nicht glatt durchs Leben kommen, es gibt immer Stolpersteine. Aber ich habe zumindest für ihn die Erkenntnis, dass man nicht alles automatisch auf den Hörstatus schieben muss.

Bei uns ist es immer umgekehrt gelaufen ... ich habe beschrieben, dass er hörbehindert ist etc., und dann haben die Leute ihn kennengelernt und dachten, ich hätte maßlos übertrieben. Und mittlerweile ist er ja sowieso in einem Alter, wo ich nicht mehr im Vorfeld irgendetwas für ihn abklären muss. Das macht er selber besser.

Ich schrieb ja, dass es auch nicht DEN CI-Träger gibt. Natürlich gibt es auch CI-Träger mit starker Einschränkung im Hören oder Kommunizieren.
Aber nur weil das so ist, kann ich ja nicht meinen Sohn auch dazu zählen, wenn es nicht so ist.
Wir sind von Anfang an darauf vorbereitet worden, dass wir nicht zuviel erwarten sollten vom CI etc. Aber es macht ja auch keinen Sinn, krampfhaft auf Negatives zu warten.
Daraus soll nicht das Bild entstehen, dass es bei jedem CI-Träger so ist oder sein kann. Aber ich kann es ja nun nicht ändern, dass es bei meinem Sohn nun mal so läuft.
Und, nein, entsolidarisiert hat er sich bestimmt nicht, dafür ist ausgerechnet unsere Familie viel zu engagiert in sehr extremen Fällen der Behinderung. Wenn er aber seinen SBA mit dem von uns nahestehenden Personen vergleicht, dann empfindet er es selber als nicht passend.
Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum wir Taubheit als Behinderung für nicht so erschreckend hielten (wohl gemerkt, wir als Familie aufgrund unseres Hintergrundes. Ich käme niemals auf die Idee, anderen Betroffenen erklären zu wollen, dass Taubheit nicht so schlimm ist.)

Natürlich reicht der Wille alleine nicht, um ganz nach oben zu kommen, in welchem Bereich auch immer. Aber das gilt ja nun mal für alle Menschen, egal, wie der Hörstatus ist.
Wie erwähnt, macht eines meiner Kinder (Jugendlicher) Leistungssport; Vieles muss dahinter zurückstehen, genau.
Und so wäre es bei meinem Sohn mit CIs auch. Er hat aber ganz andere Ziele als Leistungssport.

Weder mein Sohn, noch wir als Eltern noch der Rest der Familie gibt sich den negativen Schwingungen hin, was die Tatsache auslösen könnte, dass jemand ein CI trägt.
Mein Sohn wirkt für sich. Und wir waren immer von Leuten umgeben, die eine positive Herangehensweise haben. Hat sich wohl so ergeben, da wir uns eher am englischsprachigen Ausland orientieren, was den Umgang mit dem Thema "Behinderung" angeht.

Da mein Sohn durch Meningitis ertaubt ist und einen erkennbaren Hirnschaden hat(te), waren wir auf alles Mögliche eingestellt (so gut man sich eben als Eltern auf derartige Prognosen einstellen kann). Aber mit der Realität hat sich dann auch unsere Sichtweise gewandelt.

Ich möchte einfach nur darauf hinweisen, dass man von einem Einzelfall keine allgemeinen Schlüsse ziehen kann - weder von einem CI-Träger mit starken Kommunikationsproblemen noch von einem, der diese so erstmal nicht hat.

Was die von Dir, fast-foot, aufgeführten möglichen Gedanken von Entscheidungsträgern angeht ... ja, kann sein. Bornierte Menschen trifft man immer wieder. Andererseits, um mal beim CI zu bleiben, wird der Bekanntheitsgrad doch auch immer größer. Wir erleben das regelmäßig ... man muss heute weniger erklären als vor 12 Jahren.
Es sitzen aber nicht an jeder Weggabelung Menschen, die sich von Vorurteilen leiten lassen. Sollte durch so einen Menschen eine Tür zugeschlagen werden, hat das für mich noch keinen allgemeingültigen Charakter.
Jemand anderem verweigert er vielleicht die Aufstiegsmöglichkeiten, weil derjenige irgendwelche Neidkomplexe in ihm auslöst etc.

Meinem Sohn ist damals der Zugang zum Regelkindergarten verweigert worden - zum Glück. Manchmal bringt so eine zugeschlagene Tür auch etwas Gutes. Die damaligen Entscheidungsträger haben mittlerweile aber auch dazugelernt, insofern besteht Hoffnung.

Mein Sohn muss nicht alles können oder wollen. Aber dass, was er will, soll er sich auch zutrauen und versuchen, ohne auch nur im Traum daran zu denken, dass er durch seine Behinderung von vornherein davon abgehalten wird.

Viele Grüße,
Sabine
fast-foot
Beiträge: 5624
Registriert: 12. Okt 2008, 15:55
16

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#19

Beitrag von fast-foot »

Weder mein Sohn, noch wir als Eltern noch der Rest der Familie gibt sich den negativen Schwingungen hin, was die Tatsache auslösen könnte, dass jemand ein CI trägt.
Mein Sohn wirkt für sich.
Gerade den letzten Satz finde ich entscheidend. Alles, was man selbst in der Hand hat, kann man so gut wie möglich machen. Aber es gibt externe Faktoren, auf die man keinen Einfluss hat (etwas überspitzt ausgedrückt). Es ist vorteilhaft, sich so gut wie möglich auf ersteres zu konzentrieren. Ob dann das Glück, die besonderen Umstände (bahnbrechende Erfindungen fanden zum Teil schlicht zu früh statt und führten ein paar Jahrzehnte später den, welcher die Idee nur wieder ausgegraben hat, zu Erfolg und Reichtum) etc. einem wohl gesinnt sind, steht auf einem anderen Blatt.

Gruss fast-foot
Ausgewiesener Spezialist* / Name: Wechselhaft** / Wohnsitz: Dauer-Haft (Strafanstalt Tegel) / *) zwecks Vermeidung weiterer Kollateralschäden des Landes verwiesen / **) Name fest seit Festnahme
maryanne
Beiträge: 1216
Registriert: 22. Okt 2008, 10:32
16

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#20

Beitrag von maryanne »

Hallo fast-foot,

dein off-topic kommt bei mir so an wie eine theoretische Formel. Mag sein, dass das in der Theorie so ist. Als kleinsten gemeinsamen Nenner würde ich dir sagen: ja, zwischen dem normalen (natürlichen) Hören und dem Hören mit CI gibt es Unterschiede.
Als erwachsene, spätertaubte CI-Trägerin, die bis zur Ertaubung normalhörend war, kann ich dir versichern, dass ich die Unterschiede bei mir sehr wohl kenne. ABER ich kann dir auch versichern, dass ich in den meisten Lebensbereichen - auch im Beruf mit Kollegen, die ebenso wie ich Akademiker sind - genauso gut zurecht komme wir zur normalhörenden Zeit.
Was für mich schwieriger ist, ist das Verstehen im starken Störschall. Aber das sind Situationen, die ich üblicherweise steuern kann. Fakt ist aber auch, dass ich mich in diesen Situationen in der Kommunikation behindert fühle - und wirklich behindert bin.

Ich gebe Sabines letzten Satz zu bedenken: genauso sehe ich es für mich als Erwachsene auch. Das was ich will, kann / lerne / mache ich auch. Auch als Hörbehinderte.

Dazu muss ich auch sagen - das ist meine ganz persönliche Sicht der Dinge, so wie ICH sie für mich empfinde:

Die plötzliche Ertaubung war für mich sehr schlimm, ich fand sie extrem behindernd, weil nichts mehr ging, was zuvor gegangen war - dagegen ist meine Situation mit CI
zwar nicht so wie mit gutem Hören, aber im Vergleich zur Taubheit fühlt sich das wie beinahe nicht behindert an. Das heißt nicht, dass ich die Behinderung nicht akzeptiere!

Und aus meiner beruflichen Arbeit weiß ich, dass etliche Hörgeschädigte, wenn sie ihren ersten SB-Ausweis bekommen, durchaus mal heftig schlucken müssen, wenn sie da ihren GdB sehen.

maryanne
fast-foot
Beiträge: 5624
Registriert: 12. Okt 2008, 15:55
16

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#21

Beitrag von fast-foot »

Hallo Maryanne,
ABER ich kann dir auch versichern, dass ich in den meisten Lebensbereichen - auch im Beruf mit Kollegen, die ebenso wie ich Akademiker sind - genauso gut zurecht komme wir zur normalhörenden Zeit.
Was für mich schwieriger ist, ist das Verstehen im starken Störschall.
(Erst) hier äussert sich eben das fehlende Diskriminationsvermögen auf Grund der eingeschränkten Informationsübertragung.

Trotzdem freut es mich natürlich, wenn Du so gut hören kannst.

Und ich bin auch gespannt, was mit dem "Bionischen Ohr" möglich sein wird (ob da das Problem im Störschall entscheidend verbessert werden kann; ich denke ja).

Gruss fast-foot
Zuletzt geändert von fast-foot am 28. Jan 2013, 22:40, insgesamt 1-mal geändert.
Ausgewiesener Spezialist* / Name: Wechselhaft** / Wohnsitz: Dauer-Haft (Strafanstalt Tegel) / *) zwecks Vermeidung weiterer Kollateralschäden des Landes verwiesen / **) Name fest seit Festnahme
santiago
Beiträge: 734
Registriert: 26. Feb 2011, 08:46
14

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#22

Beitrag von santiago »

Hallo!
Ich denke mir wir sollten die Diskussion ob man nun mit HG/CI "normal" hört besser kritischen GL überlassen :}

Natürlich sind superselbstbewusste Menschen wie Helene die I. 8-) eine Ausnahme. Allerdings habe ich schon das Gefühl dass, völlig unabhängig wie gut oder nicht gut wir nun hören, diese Ausnahmen bei den lautsprachlich orientierten Hörgeschädigten viel seltener auftreten :help:

Besser hören scheint also nicht automatisch zu einer stärkeren Selbstverwirklichung sondern eher zu angestrengten Mitläufern in der hörenden Welt zu führen.

Gruß
santiago
Zuletzt geändert von santiago am 29. Jan 2013, 00:32, insgesamt 1-mal geändert.
Momo
Beiträge: 5186
Registriert: 23. Jul 2002, 21:46
23
Wohnort: Niedersachsen

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#23

Beitrag von Momo »

hallo
wirklich sehr interessanter thread...
ich kann das was sabine da beschreibt nachvollziehen.
ich selber sehe es im falle meines sohnes auch eher so, dass er selbst nicht behindert ist, sondern dass er so wie er eben ist, und da gehört die tatsache, dass er anders hört als die meisten, von der gesellschaft seinem umfeld behindert wird.
und ich würde auch sagen, dass die art der behinderung durch das umfeld sehr verschieden sind.
so kann er sich im rahmen unserer kleinen familie mit all seinen macken und positiven eigenschaften genauso entfalten, druchsetzten und seinen platz einnehmen wie wir anderen auch.
anders sieht es da schon im bereich schule aus, die oft nicht in der lage ist sich auf die besonderen bedürfnisse der schüler einzustellen. und das auch unabhängig davon ob diese besonderen bedürfnissse als "behinderung" bezeichnet würden.
mein blickwinkel ist ein anderer, nciht der mensch ist behindert, sondern sein umfeld behindert ihn. ich würde all das als behinderung bezeichnen, was das soziale umfeld tut, um bestimmte menschen mit bestimmten eigenschaften nicht teilhaben zu alssen, unabhängig davon welche bedürfnisse.

der grad der behinderung bestimmt damit nicht wie "eingeschränkt" der einzelne, hier der ausweisinhaber ist, sondern wie sehr die gesellschaft ihn darin behindert ein gleichwertiges mitglied zu sein.

also stimme ich sabine zu, wenn sie beschreibt, dass sie ihren sohn nicht als "behindert" beschreibt, sondern ihn eben möglichst genau beschreibt, und da gehört eben dazu, dass er in der kommunikation usw. besondere bedürfnisse hat auf die sich das umfeld einstellen muss, um ihn eben nicht zu behindern.

und wenn das in den köpfen angekommen ist, dass wir jeden so nehmen wie er ist und dafür sorgen, dass er in seinem wirken und seiner teilhabe nicht behidnert wird, dann leben wir inklusion.

grüße
Zuletzt geändert von Momo am 29. Jan 2013, 08:30, insgesamt 2-mal geändert.
Wiebke und Sohn (fast 21 Jahre) mit 1 HG und 1 CI
Nina M.
Beiträge: 1525
Registriert: 9. Jul 2002, 22:18
23
Wohnort: Rhein-Main-Gebiet

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#24

Beitrag von Nina M. »

Ich finde das hier einen total interessanten Thread, hab ihn gestern schon entdeckt, aber hatte da leider keine Zeit ausführlicher zu lesen.

Vielen Aussagen hier, insbesondere denen von Sabine und Maryanne kann ich mich anschließen. Auch ich habe ja früher mal gut gehört, ich kenne die langen Jahre des HG-Tragens bis zur an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit wo fast nichts mehr ging und ich kenne die Situation mit CI. Mir ergeht es dabei wie Maryanne: das Hören mit CI ist natürlich kein normales Hören und ja, es gibt viele schwierige Situationen (Störschall), trotzdem ist es ein Riesengewinn an Lebensqualität und in vielen Situationen wie ein fast normales Hören.
Mir geht es auch so, dass ich oft erklären muss, dass ich mit meinem CI-Hörvermögen sicher nicht als Beispiel für den "typisch" Schwerhörigen herhalten kann (sofern es den überhaupt gibt *g). Also sprich, wenn ich z.B. schwerhörige Freunde mit meinem normalhörenden Freundeskreis zusammen bringe, achte ich sehr darauf, dass ich den hörenden Freunden vorher klar mache, dass ich mit meinen CI's fast zu gut höre und sie sich drauf einstellen, dass Freunde von mir da größere Schwierigkeiten haben und man da etwas mehr Rücksicht nehmen muss.

Auch meine Familie, die ja alle Stati meiner Schwerhörigkeit mit durchgemacht haben und mich auch als fast taub erlebt haben, sagt oft, dass es eigentlich schon manchmal irritierend ist wie gut ich mit den CI's wieder hören kann inzwischen und dass es Wahnsinn ist was diese Technik bringt.

Und ja, das ist die Positiv-Seite vom CI. Dass es auch andere Seiten gibt erlebe ich tagtäglich im Beruf und deswegen würde ich das CI auch nie schön reden oder über den grünen Klee loben. Ich würde auch nie jemanden zum CI überreden. Wenn mich jemand bzgl. des CI's etwas fragt oder um Rat bittet, sage ich immer, dass die Entscheidung nur jeder einzig für sich allein treffen kann, der Betroffene selber oder die jeweiligen Eltern des Kindes. Denn diese Entscheidung macht auch nur Sinn, wenn man dahinter steht.
Dass Eltern leider oft gerade von Ärzten und CI-Zentren förmlich überrannt und zu einer Entscheidung gedrängt werden, erleben wir als Pädagogen leider auch und wir versuchen seit Jahren dagegen anzukämpfen, leider relativ erfolglos. Die Ärzte sind - leider - die Halbgötter in weiß und es sind auch diejenigen die die Eltern zuerst sehen. Bei den Frühförderstellen docken die Eltern leider oft erst an, wenn der Termin zur Implantation schon steht oder diese evtl. sogar schon erfolgt ist. Das ist unglaublich schade, weil man so den Prozess rund um die Entscheidungsfindung und Implantation nicht pädagogisch begleiten kann. Denn gerade das ist eigentlich ein Zeitraum - direkt nach der Diagnose - wo die Eltern die meiste Begleitung brauchen könnten und vor allem einfach jemanden der mal ZUHÖRT und nicht gleich in eine Richtugn drängt.

Momo, deine Erfahrungen bzgl. Gebärden finde ich auch erschreckend, dass es sowas immer noch gibt... bei uns ist die Einstellung eigentlich eher "pro" Gebärde, wir unterstützen alle Eltern, die sich so etwas wünschen und beraten auch z.B. hinsichtlich Hausspracherziehung in DGS usw. Allerdings ecken auch wir damit bei anderen Institutionen an. Leider. Ich finde es sehr, sehr traurig, dass sich in sovielen Fachbereichen und Institutionen immer noch die Meinung hält Gebärdensprache sei schlecht. Wir könnten reihenweise Beispiele liefern wo Kinder DURCH die Gebärden letztendlich in die Lautsprache gekommen sind... es ist traurig, dass das immer noch ignoriert/nicht gesehen wird und so viele Fachleute (!) immer noch gegen Gebärdensprache argumentieren.

Uffz... mein Wort zum Dienstag. ;)
Schwerhörig seit dem 11. Lebensjahr, beidseitig mit CI's versorgt (1. CI 6/2003, 2.CI 10/2006)
Nina M.
Beiträge: 1525
Registriert: 9. Jul 2002, 22:18
23
Wohnort: Rhein-Main-Gebiet

Re: Behinderung ein zu vermeidendes Tabuthema?

#25

Beitrag von Nina M. »

Jetzt kam Momos Beitrag dazwischen und erinnert mich daran, was ich vergessen habe zu schreiben. ;)

Momo, deine Sichtweise/Erklärung des GdB finde ich interessant... und schön.

Ich verstehe auch gut, was Sabine schreibt, nämlich dass es als Hörbehinderter nicht ausreicht zu sagen "ich bin behindert". Ich würde das genauso sehen. Eben deswegen, weil es zu wenig aussagt. Behinderung ist so allumfassend und ja, viele assoziieren damit dann als erstes eine körperliche (im Sinne von Mobilität) oder geistige Einschränkung.
Und ich denke auch, dass hat nichts mit nicht-akzeptieren der Behinderung zu tun, sondern damit, dass es für andere auch hilfreicher ist, wenn man die Hörschädigung genauer erklärt. Sage ich jemandem nur "ich bin behindert", dann verunsichere ich ja auch mein Gegenüber total, weil der dann auch denkt oh je, was kommt da jetzt auf mich zu oder noch schlimmer, wenn er mir gegenübersteht dann denkt: "Hä, was soll das denn jetzt heißen? Man sieht doch nix."
Es ist also auf für das jeweilige Gegenüber und damit für ein zukünftiges Miteinander sehr viel hilfreicher, wenn ich erkläre, dass ich hörgeschädigt bin und was das für mich bedeutet bzw. welche Hilfestellung ich brauche oder nicht brauche. Damit gebe ich auch meinem Gegenüber etwas an die Hand womit er/sie umgehen kann und helfe ihm aus der oft spontan auftretenden Hilflosigkeit gegenüber Behinderten heraus.
Schwerhörig seit dem 11. Lebensjahr, beidseitig mit CI's versorgt (1. CI 6/2003, 2.CI 10/2006)
Antworten