Frage(n) zur Kompression

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klemme
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Frage(n) zur Kompression

#1

Beitrag von klemme »

Hallo zusammen,

mal ne Frage an die Akustiker hier an Bord. Bei welchem Eingangspegel fängt denn der Kompressor an zu arbeiten? Also wo liegt der Kniepunkt (Treshold). Bei 40 dB, 50dB oder darüber? Ist das frei einstellbar oder läuft das im Hintergrund über die Einstellung der Verstärkung in der Verstärkermatrix ab?

In Phonaks Target-Programm gibts erstmal im Grobtuning nur die Kompressionseinstellung: linear, vorberechnete Kompression, weniger Kompression. Was da passiert sieht man nicht.

Unterhalb der Verstärkermatrix sieht man dann wenigstens das Kompressionsverhältnis CR in den einzelnen Kanälen, ohne daran aktiv etwas regeln zu können.

Wenn ich jetzt von einer linearen Verstärkung ausgehe, liegen alle drei Verstärkerkurven (G50, G65;G80) schön übereinander. In der Matrix stehen senkrecht untereinander die gleichen Verstärkerwerte. CR=1. So soll es sein. Alles besten.

Wenn ich jetzt den Gain für 80dB runterziehe, steigt das Kompressionsverhältnis. Die Werte für G50 und G65 bleiben konstant. Der Kniepunkt muss also bei G65 oder darüber liegen. Richtig?

Wenn das Kompressionsverhältnis einen gewissen Wert >3 überschreitet, sinkt auch die Verstärkung für G65. Das heißt doch, der Kniepunkt rutscht nach unten. <G65.

Warum stehen dann in der der Verstärkermatrix unterschidliche Werte für G65 und G80? Die müssten doch dann gleich sein. Ist die Verstärkerkurve oberhalb des Kniepunktes dann nicht mehr linear (mit geringerer Steigung) sondern eher gekrümmt oder arbeitet der Kompressor mit zwei Kniepunkten? (glaub ich eher nicht). Ich kenne nur Kompressoren mit einem Kniepunkt.
nixverstahn
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Re: Frage(n) zur Kompression

#2

Beitrag von nixverstahn »

hej Klemme,
ich bin zwar kein Akustiker, habe aber kürzlich gelesen, dass moderne Kompressionen in der Tat mit 2 Kniepunkten arbeiten :)
mit hG
nixverstahn
"Wahrheit" ist für mich DAS, was in den beschränkten Platz zwischen meine Ohren passt - und wie ist das bei DIR? :)
Dani!
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Re: Frage(n) zur Kompression

#3

Beitrag von Dani! »

@Klemme
Ich denke, das ist eher eine Frage an den Softwareentwickler von Phonak. Ich als Anwender stelle nur folgendes fest:
Beim Target gibt es mindestens 3 Kniepunkte, die aber nicht notwendigerweise alle zum Zug kommen: 1. Für sehr leise Schalle und damit CR<1; 2. der dir bekannte Kniepunkt und 4. für Eingangssignale, die oberhalb des MPO liegen. Wahrscheinlich noch 3, also zwischen 2. und 4., um Sprachverstehen so weit wie möglich zu optimieren.
Schalte doch mal um auf die Ansicht "Eingang->Ausgang" (Input->Output) und wählst eine zu betrachtende Frequenz. Da ist auch keine lineare Linie, sondern gerade in der Nähe des maximalen Ausgangspegels (MPO) flacht die Kurve hoffentlich auch bei linearer Verstärkungsstrategie stark ab, d.h. sie steigt bei weitem nicht so stark wie bei Eingangspegeln von 80dB oder darunter. Andernfalls würde man bei hoher linearer Verstärkung (z.B. um 40dB) schnell über die Lautstärke kommen, die dauerhafte Schäden hervorruft.
:sm(16):
Dass es mir gut geht, dafür sind schließlich andere zuständig.
Dominik
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Ohrenklempner
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Re: Frage(n) zur Kompression

#4

Beitrag von Ohrenklempner »

Die Kniepunkte und Kompressionsverhältnisse kann man (außer bei Siemens/Signia unter bestimmten Umständen) nicht mehr direkt einstellen, denn dafür arbeiten die inzwischen zu dynamisch, und bei einigen Herstellern sind es auch schlicht zu viele. ;)

In den einfacheren Fällen haben wir einen Kniepunkt zwischen 40 und 60 dB und einen um etwa 80 dB. Zusätzlich gibt es noch einen "Einsatzkniepunkt", der eine Expansion bei sehr leisen Pegeln vornimmt, um das Mikrofonrauschen zu unterdrücken oder andersherum sehr leise Töne wahrnehmbar zu machen. Der liegt bei etwa 30 bis 40 dB.

Da heutzutage aber über die Verstärkungsmatrix gearbeitet wird, arbeiten die Verstärkungs- und Kompressionsberechnungen im Hintergrund. Das ist auch praktischer, denn ich kann eine gewünschte Einstellung gezielter und ohne groß zu überlegen ändern.

Man kann sich die Kompression übrigens auch "ansehen":
Im Verstärkung/Frequenz-Diagramm sind die Verstärkungskurven (für 50, 65 und 80dB) weiter auseinander, je kompressiver die Einstellung ist.
Im Ausgang/Frequenz-Diagramm sind die Kurven näher beieinander, je kompressiver die Einstellung ist.
Am besten sieht man das aber im Eingangs-/Ausgangspegeldiagramm. Klappt auch bei Phonak. ;)
...zufällig bin ich Experte auf diesem Gebiet... :geek:

Zu audiologischen Ratschlägen, Anpassberatungen oder Hörgeräte-Offerten – Grüßli an die Schwiz! :wave: – fragen Sie Ihren Hörakustiker (m/w/d)!
BenB
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Re: Frage(n) zur Kompression

#5

Beitrag von BenB »

Hallo in die Runde,

interessantes Thema!

Eine meines Erachtens sehr brauchbare Einführung liefert - wenn man die Eigenwerbung überliest - folgendes Paper der Fa. Phonak:

https://www.phonakpro.com/content/dam/p ... ing_DE.pdf

Es bleibt natürlich die Frage, ob das Ausreizen alles technisch Möglichen immer zweckmäßig ist.

Schon außerhalb der Hörgeräte-Technik: Die Einstellung der Kniepunkte, der Kompressionsverhältnisse und insbesondere des zeitlichen Regelverhaltens sind bereits bei einem Einband-Kompressor knifflig. Und bei Mehrbandkompressoren braucht es ausgeprägt starke Nerven...

Immerhin kann man dort per Bypass-Taste das veränderte Signal jederzeit mit dem Original vergleichen. Wenn aber - wie in der HG-Technik - die dem geschädigten Gehör vorgeschaltete Signalverarbeitung dazu dient, eine originalgetreue Empfindung wiederherzustellen, wird es wohl doppelt schwierig - es sei denn, der HG-Träger hat ein gesundes Gegenohr zum Vergleich.

Ich befürchte fast, dass die (zu?) vielen einstellbaren Parameter, in denen man sich regelrecht verlieren kann, in Einzelfällen suboptimale Ergebnisse bringen könnten...

Gruß Ben
Zuletzt geändert von BenB am 18. Apr 2018, 16:43, insgesamt 1-mal geändert.
Dani!
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Re: Frage(n) zur Kompression

#6

Beitrag von Dani! »

BenB hat geschrieben:Ich befürchte fast, dass die (zu?) vielen einstellbaren Parameter, in denen man sich regelrecht verlieren kann, in Einzelfällen suboptimale Ergebnisse bringen könnten...
Genau dafür haben wir ja unsere Akustiker und Ohrenklempner, die sich damit auskennen und für uns das anpassen :D
:sm(16):
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Dominik
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Hoffi
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Re: Frage(n) zur Kompression

#7

Beitrag von Hoffi »

Da möchte ich Dani voll und ganz zustimmen. Wenn alles voreingestellt ist, wie bei einigen Herstellern (z. B. Oticon), kann nichts Vernünftiges herauskommen bzw. eingestellt werden; von Programmieren kann man sowieso nicht sprechen!
klemme
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Re: Frage(n) zur Kompression

#8

Beitrag von klemme »

Hi zusammen,

vielen Dank für die Antworten. Ohrenklempner, du hast das super erklärt. Wenn es pro Komressionskanal mehrere Kniepunkte gibt, ist natürlich alles klar. Ich kannte bis dato nur Hardwarekompressoren oder Softwarekompressoren für Audiorecording, die mit einem Kniepunkt arbeiten.

Wie sieht es denn eigentlich mit dem Einschwing- und Ausschwingverhalten des Kompressors in HG's aus? Kommt man da ran ?

Ich hab mal vor 15 Jahren, na sagen wir mal halb semiprofessionell Audiorecording betrieben. Noch mit gesunden Ohren. Ich hab mir mal die alten Projekte auf meinem Rechner angeschaut. Wir hatten mit 10ms im Attack und 50 bis 100ms im Release des Kompressors super Gesangsergebnisse in der Gesangsspur. Druckvoll und verständlich.

Ich hab gerade nachgelesen, dass der Kompressor meiner Phonaks Audeo V90 mit 10 ms im Attack und 50 ms im Release arbeiten. Gut so. Das muss sich rumgesprochen haben ;)

lg
Dani!
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Re: Frage(n) zur Kompression

#9

Beitrag von Dani! »

klemme hat geschrieben:Ich hab gerade nachgelesen, dass der Kompressor meiner Phonaks Audeo V90 mit 10 ms im Attack und 50 ms im Release arbeiten.
Darf ich fragen, wo du das gefunden hast? Ich finde es nicht mehr.
Bei meinen Siemens Geräten konnte ich noch aus 2 Varianten wählen, bei den Naida V ist nichts wählbar.
Btw. ich denke die Audeo haben dieselben Programme wie die Naidas? Dann bedenke, dass mindestens das "Musik"-programm andere Kompressionszeiten hat, nämlich viel längere.
Die neue Anpassformel "Adaptive Phonak Digital Contrast" in Naida B erwähnt, dass sie eine "Option einer langsamen Kompression hat". Habe ich noch nicht überprüft, wäre für mich aber vom Gefühl her das richtige.
:sm(16):
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klemme
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Re: Frage(n) zur Kompression

#10

Beitrag von klemme »

Hi Dani,

ist scho ne Weile her, aber hier, https://www.phonakpro.com/content/dam/p ... _V_312.pdf, steht es unter dynamische Daten auf Seite 1.

Ob die Regelzeiten sich in den einzelnen Unterprogrammen ändern,weiß ich nicht.
Kann man vermuten.
Dani!
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Re: Frage(n) zur Kompression

#11

Beitrag von Dani! »

Danke klemme!
Ich habe die Ein- und Ausschwingzeiten für mein Naida deshalb nicht gefunden, weil sie im Datenblatt nicht aufgeführt sind, im Gegensatz zu Audeo, offensichtlich hatte ich das in einem anderen Datenblatt auch mal aufgeschnappt. Für Naida Q habe ich noch eine Einschwingzeit von 1ms(!) gefunden.

Dennoch bin ich von Naida B mit den angeblich verlängerten Ein- und Ausschwingzeiten in der "Contrast"-Anpassformel ganz angetan. Den Unterschied zur älteren Anpassformel im selben Gerät habe ich nicht ausprobiert. Ich habe aber unmittelbar zuvor auch Naida V monatelang getestet. Auf dem Papier gibt es keinen Unterschied, praktisch lohnt sich zumindest für mich der B-Chip.
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Re: Frage(n) zur Kompression

#12

Beitrag von Mabuhay »

klemme hat geschrieben:Hi Dani,

ist scho ne Weile her, aber hier, https://www.phonakpro.com/content/dam/p ... _V_312.pdf, steht es unter dynamische Daten auf Seite 1.

Ob die Regelzeiten sich in den einzelnen Unterprogrammen ändern,weiß ich nicht.
Kann man vermuten.
https://www.phonakpro.com/content/dam/p ... _V_312.pdf
Zuletzt geändert von Mabuhay am 27. Apr 2018, 12:19, insgesamt 2-mal geändert.
Ohrenklempner
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Re: Frage(n) zur Kompression

#13

Beitrag von Ohrenklempner »

Allgemein wird heute eine sogenannte WDRC (Wide Dynamic Range Compression) angewendet. Diese unterscheidet zwischen dynamischer und statischer Kompression. Die statische Kompression sorgt dafür, dass es in leisen Umgebungen nicht zu leise und in lauten Umgebungen nicht zu laut wird. Die dynamische Kompression sorgt dafür, die eigentlichen Sprachsignale möglichst auf die nutzbare Restdynamik des Gehörs zu bringen. Die statische Kompression hat dabei sehr lange regelzeiten (viele Sekunden), die dynamische Kompression hat kurze Regelzeiten.
...zufällig bin ich Experte auf diesem Gebiet... :geek:

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