Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

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Han_na
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Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#1

Beitrag von Han_na »

Hallo liebes Forum,

ich möchte heute mal die Gelegenheit ergreifen, und eine Warnung vor Lärm aussprechen, wenn man Hörsysteme trägt.

Dazu möchte ich die Ergebnisse meiner privaten Recherchen hier zusammenstellen, damit jeder für sich entscheiden kann, wie er oder sie mit Lärm in Zukunft umgehen will.

Zum einen möchte ich die Definition von Lärm kurz zusammenfassen. In Fachkreisen spricht man von Lärm, bei einer Lautstärke von etwa 80 - 85 db und das über einen Zeitraum von 1-2 Stunden durchgehend.
Nun gibt es natürlich auch den gewollten Lärm (Party, Konzerte) und den ungewollten (Baustellen, Straßenlärm), bei dem wohl über die Auswirkungen gestritten wird, aber tatsächlich hat Lärm auf Dauer katastrophale Auswirkungen auf unsere Gesundheit.

Hierfür gibt es auf verschiedenen Seiten Listen, mit den körperlichen, sowie seelischen Schäden, welche an Normalhörenden (Nh) festgestellt wurden.
Meine eigene Erfahrung hat mir gezeigt, dass auch ich, als CI Trägerin bilateral, diese Lärmschäden bekommen habe, aber über einen kürzeren Zeitraum, als Nh und sogar viel stärker.

Die Listen der Lärmschäden bei Nh enthalten folgende Symptome, von welchen ich innerhalb von knapp 2 Jahren fast alle Symptome hatte, und heute noch in der Genesungsphase bin.

Psychische Beeinträchtigungen / Lärmstress:

• Angst
• Anspannung
• Nackenversteifung
• Migräne
• Beeinträchtigte Leistungsfähigkeit
• Beeinträchtigung im sozialen Verhalten (z.B. erhöhte Aggressivität)
• Ärger schlägt leichter in Aggressionen um
• Nervosität, innere Unruhe
• Resignation, Gleichgültigkeit
• Appetitlosigkeit (--> Magersucht)
• Kommunikations-, Lern- und Konzentrationsstörungen
• Zunehmender Kontrollverlust über starke Emotionen
• Psychische Beeinträchtigung durch das Gefühl der Belästigung
• Verlust von (Lebens)freude

Körperliche Folgen von Lärmstress

• Herz- und Kreislaufprobleme
• Erhöhtes Bluthochdruck- und Herzinfarktrisiko
• Gehörschäden, Hörermüdung, Tinnitus
• Verminderte Durchblutung
• Erhöhtes Unfallrisiko
• Müdigkeit, Erschöpfung
• Schlafstörungen, Durchschlafstörungen, Einschlafstörungen
• Stoffwechselstörungen, so wie chronische Stoffwechselerkrankungen

Hormonelle Folgen von Lärmstress

Nicht nur dauerhafte, auch kurzfristige Lärmbelastung kann die verstärkte Ausschüttung von Hormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol zur Folge haben, welche den Stoffwechsel beeinflussen können. Diese Stoffe werden i.d.R. nur durch Alarmierung freigesetzt, wenn das Leben in Gefahr ist.

Wer sich einmal die Zeit nehmen will, und auf Google nach Lärmkarten sucht, wird erkenenn können, wovon ich spreche. Vor allem die älteren Semester hier, welche sich erinnern, wie ruhig es damals im Vergleich zu heute auf deutschen Straßen und in Geschäften war. Selbst die Filme waren insgesamt leiser, als heute.

Meiner Meinung nach hat dieser Lärmtsunami derart zugenommen, ebenso wie die 'Lichtverschmutzung', und ist mit ein wichtiger Grund dafür, warum heute auch so viel mehr Menschen psychisch gestreßt, oder langfristig krank sind. Das hochgefährliche daran, niemand interessiert sich für den Lärm, oder hält ihn überhaupt für schädlich. Also ruhig noch ein bisschen lauter machen.

Ich wünsche mir mit diesem Beitrag von mir an Euch, dass es interessante Gespräche und Entdeckungen gibt, und ich hoffe, dass ich mit diesem Wissen auch Menschen erreichen kann, die sich mit Symptomen 'unbekannter Herkunft' im Kreis drehen.

Vor 16 Jahren habe ich meinen Traumberuf verloren, weil ich damals mit HGs im Lärm gearbeitet habe, und nach 3 Jahren am Ende meiner Kräfte und meines Lebens war. Damals gab es kein Internet und ich blieb all die Jahre im dunkeln. Bis ich taub wurde, und dasselbe mit CIs erlebte. Nur ging es diesmal schneller zugrunde mit mir.

Heute habe ich Frieden mit mir und meiner Taubheit gefunden, und trage meine Ohren nur noch, wenn ich dazu bereit bin. Das ist momentan noch sehr selten. Meine innere Stabilität und Gesundheit sind mir hochheilig wichtiger! Ich habe letztes Jahr viele hohe Glocken geläutet und bei Audiologen und Ärzten 'Alarm!' gerufen, aber ich wurde weggelächelt. Nein, so was kann ihnen nicht passieren. Sie können keinen Lärmschaden bekommen, weil sie ja taub sind. (Originalantwort meines jungen HNOs).

Fazit: die Taubheit ist der natürliche Lärmschutz des Körpers, wenn die Ohren zu stark belastet werden. Unsere Ohren werden je nachdem mit HGs künstlich verstärkt zugedröhnt, und unsere tauben Ohren mit CIs. Dass wir keine Lärmschäden mehr bekommen können, halte ich für einen weltweit fatalen Irrtum, auf den wahrscheinlich keiner kommt. Einfach deshalb, weil Lärm heute so schrecklich selbstverständlich ist.

Findet Ihr nicht auch?

Viele Grüße
Hanna
Lärm zerstört Gehör bis zur Taubheit.
Lärm mit Hörsystemen zerstört Menschen von innen.
Lärm ist keine Bagatelle sondern ein echtes Problem heutzutage.
Tinu76
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#2

Beitrag von Tinu76 »

Guten Tag Hanna

Vielen Dank für deinen Beitrag. Du scheinst viele schlimme Erfahrungen durchgemacht zu haben und ich freue mich, dass du nun für dich eine gangbare Lösung gefunden hast.
Mit deinem Post hast du eine herausvordernde Sichtweise aufgezeigt.

Die Welt ist tatsächlich sehr laut und ich denke auch, dass dies seine Narben nach sich ziehen kann.

Ein direkter Zusammenhang und die Auswirkungen wie du sie beschreibst, konnte ich aber bei mir nicht feststellen. Die genannten Symtome können auch sehr gut mit anderen Erkrankungen einhergehen, hier ist ein Zusammenhang sehr schwierig zu beweisen.
Dein sehr pointiertes Fazit bezüglich dem "natürlichen Lärmschutz" dürfte evt. für einige Betroffene auch etwas verletzend sein.

Wichtig erscheint mir, dass man auf sich selbst hört und dementsprechend handelt. Wenn jemand mit der Hörverstärkung keine Probleme hat, soll er diese auch gebrauchen dürfen. Wenn jemand erkennt, dass er mit dem Lärm nicht umgehen kann, soll er sich davor schützen.

PS. Deine beschriebenen Leiden passen auch sehr gut zu Hyperakusis (kennst du sicher schon): https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperakusis

Lieber Gruss
Tinu
Ab 2014 Hochtonschwerhörig - Versorgung mit Widex Dream 330 Passion und/oder Bernafon Juna 9 Pico RITE
ab 2017 Versorgung mit Bernafon Zerena miniRITE 9
ab 2021 Versorgung mit Bernafon Alpha
nixverstahn
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#3

Beitrag von nixverstahn »

Hallo Hanna,
super dein Beitrag.
da wird sich der user fast-foot freuen, der endlich mal erleben darf, dass seine faktenreichen - aber sehr theoretisch wirkenden - "Rufe in der Wüste" jetzt endlich auch mal von anderer Seite - ganz praktisch und selbst erlitten - bestätigt werden.
Toll, Klasse!
Vielen Dank :)
Liebe Grüße
nixverstahn
"Wahrheit" ist für mich DAS, was in den beschränkten Platz zwischen meine Ohren passt - und wie ist das bei DIR? :)
Michael1
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#4

Beitrag von Michael1 »

Hallo Hanna,
>"...dass auch ich ... diese Lärmschäden bekommen habe"

Nur zur Sicherheit, ob ich das auch richtig verstanden habe:
Das ALLES haben auch Sie ALLES an sich selbst beobachtet?

Gruß MIchael
BenB
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#5

Beitrag von BenB »

Hallo Hanna,

das ist ein hochinteressanter Beitrag!

Nun, ob es früher insgesamt leiser war, weiß ich nicht, obschon ich ein "älteres Semester" bin. Die Autos waren früher jedenfalls lauter als heute, auch der Fluglärm war ganz erheblich. Und allein schon der Krawall, den eine elektromechanische Schreibmaschine machte! Immerhin: In den Geschäften gab es noch keine Hintergrundmusik ("Muzak"), und auch die Spielfilme konzentrierten sich auf Dialoge. Heute ist absolut und überall Musik drunter, im Radio teilweise sogar unter den Nachrichten. Das macht einen auf Dauer meschugge, das ist völlig richtig!

Der andere Aspekt ist "Lärmschädigung aufgrund Hörhilfe" - das ist bisher kaum untersucht worden; die Studienlage ist mehr als dürftig.

(Aber auch schwer festzustellen. Beispielhaft: Liegt ein fortschreitender Hörverlust am Hörgerät, oder hätte sich das Gehör auch "ohne" verschlechtert? Oder beides? Statistisch halt schwer greifbar.)

Die Gefahr ist aber erkennbar, und der Forumskollege fast-foot, der diese Frage hier erstmals aufwarf, hat vermutlich recht - er ist da insoweit auch kein "Rufer in der Wüste", wie oben behauptet wurde.

Hanna, nochmal: ein klasse Beitrag!

Gruß BenB
Zuletzt geändert von BenB am 5. Jun 2018, 16:19, insgesamt 1-mal geändert.
Rondomat
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#6

Beitrag von Rondomat »

Hallo Hanna,

Ich schliesse mich dem Dank meines Vorgängers an und gebe einmal wieder, wie ich damit als beidseitig mit CI versorgt umgehe, da ich auch teilweise davon betroffen war oder noch bin:

Erstmal ist natürlich unabhängig von der Versorgungsart (CI oder HG) unstrittig, dass es beim Ausgleich des Hörverlusts auch darauf ankommt, wieviel Zeit zwischen Hörverlust-Eintritt (und dies kann individuell sehr langsam geschehen oder auch per Hörsturz sehr schnell) und dem Ausgleichen des Hörverlusts vergangen ist. Die daraus entstandene Emtwöhnung von bestimmten Frequenzbereichen, meist im höheren Bereich stattfindend (Sprachverstehen, Konsonantenverständlichkeit) macht das Hören - und erst recht das Verstehen - erstmal anstrengend in der Anfangsphase der Versorgung. Es prasseln wieder viele, auch laute, wieder neu einzuordnende Schallereignisse ein, die verarbeitet werden wollen. Die möglichen Begleiterscheinungen hat Hanna beschrieben, einige trafen und treffen bei mir ebenfalls zu.

So kann eine leichtgradige Hörschwäche meist relativ stressfrei ausgeglichen werden - das Hördefizit auszugleichen ist also eine Erleichterung und wird damit stressfreier zu verarbeiten sein, da nur ein kleinerer Frequenzbereich davon betroffen ist und das Hörzentrum den Ausgleich dadurch gut hinbekommt. Schreitet der Hörverlust langsam voran, passt man den Ausgleich daher schritthaltend an und dies funktioniert meist auch gut.

Anders bei schwereren Hörverlusten bis hin zur Taubheit, vor allem wenn diese schnell voranschreiten und zwischenzeitlich keine jeweiligen Ausgleiche stattgefunden haben:

Hier ist das Hördefizit meist von einem breiteren Frequenzbereich betroffen, also hat das Hörzentrum mit den ausgleichenden Anteilen, die von HG und CI kommen, mehr Arbeit damit, diese zusammenzubringen und für einen gut verträglichen, stress-senkenden Höreindruck zu sorgen. So benötigt es viel Geduld, Zeit, viel Dialog mit Akustiker und Audiologe (hier ist die Qualität der eigenen Wahrnehmung und die Schilderung dessen von grosser Bedeutung, denn diese subjektiven Eindrucke reflektieren ja einen Grossteil der von Hanna dargestellten Probleme. Und kein Akustiker oder Audiologe stellt die Versorgung vorsätzlich so hoch, dass dies die Hörnerven schädigt oder gar das Hörzentrum). Fehlt die Geduld und die Zeit, sich langsam wieder an den Hörverlust-Ausgleich zu gewöhnen, sich bei Unwohlsein, zu lautem Input nicht umgehend an den Akustiker / Audiologen wendet, dann treten genau solche Folgen von Hörstress auf und der eigentliche Sinn, nämlich der Hörminderung nicht nur akustisch, sondern auch seelisch-/stress-senkend zu begegnen, ist dahin. Resignation stellt sich ein, sozialer Rückzug und dann auch körperliche und seelische Folgeerscheinungen - wie oben von Hanna beschrieben.

Unter Lärmstress leiden auch normal hörende Menschen. Für uns HG- und CI-Träger werden solche Lärmstress erzeugenden Dinge wie Partyeffekt, Dauerberieselung in Kaufhäusern, auf Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen und noch viele andere, besonders belastend.

Die Folgeerscheinungen von Lärmstress werden schlimmstenfalls mit der Hörminderung nicht in Verbindung gebracht, hier wird dann wieder herumtherapiert, ohne auf die Herkunft der Folgeerscheinungen - nämlich den Lärmstress - zu schauen.

Ich hatte durch den anfänglichen sehr guten Erfolg meiner CI-Versorgung ebenfalls durch mutiges Hochfahren der CIs eine Hörnerv-Reizung davon getragen, an der ich über 10 Monate zu knabbern hatte.

Erst das langsame anschliessende Hochfahren, eine zweieinhalbmonatige Reha und andere Massnahmen führten so allmählich zu einem stressfreieren Gesamtzustand.

Und vielleicht interessant für die CI-Träger:

Ich war bis vor kurzem mit Rondos versorgt, die haben also 1 Mikrofon, das den Schall eher am Hinterkopf aufnimmt. Das entspricht ja eher wenig den normalen Hörgewohnheiten - aber viele Rondo-Träger kommen damit wohl gut klar - ich ja seither auch, wenn man von Hörstress im Störschall, im direkten Dialog an Ladenkassen, Meetings usw. einmal absieht.

Nun trage ich Sonnet-Prozessoren, die zum einen natürlicher klingen als die Rondos und zum anderen durch ihre Richtmikrofone einen Höreindruck bieten, der dem natürlichen Hören (von vorne, von der Seite und von hinten) sehr viel näher kommt. Das Ergebnis: Ich verstehe mit 10 dB Pegel weniger genauso viel wie mit den Rondos. Das alleine ist enorm und hat sich bei mir so ausgewirkt:

- meine Stimme ist leiser
- ich höre wohin ich schaue (im Richtmikro-Programm), das Ausblenden der Störschallumgebung ist damit wesentlich entspannter geworden
- mein etwa um 10 bis 15 Prozent erhöhter Blutdruck während des CI-Tragens ist mit den Sonnets wieder ziemlich im normalen Bereich angelangt
- durch weiteres Feintunen der Sprachprozessoren (momentan noch im Testmodus mit einer angepassten Rondo-Map) ist da noch ordentlich Luft nach oben - also noch weitere positive Effekte hinsichtlich Stressminderung und Hörerleichterung.

Es gibt also auch Wege (hier: neue Sprachprozessoren, die für meine Bedürfnisse besser arbeiten als die alten), sich das Hör-Er-Leben so gut wie möglich zu erleichtern, wenn die Rahmenbedinungen stimmen (Akustiker, Audiologe, Rehabilitation), wenn man in sich hineinlauscht im wahrsten Sinne des Wortes und man bereit ist, Geduld mitzubringen auf diesem Weg.

Und hin und wieder die CIs einfach auszuschalten, Ruhe zu schöpfen, in sich zu gehen ist auch mal entspannend.
Zuletzt geändert von Rondomat am 5. Jun 2018, 16:19, insgesamt 1-mal geändert.
Viele Grüsse, Rainer
_________________________________ Ich habe dauernd Med-el's im Kopf ....
Hörer2018

Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#7

Beitrag von Hörer2018 »

Genau, auch mal abgeschaltet lassen.
Obwohl einem meist erzählt wird, HGs immer tragen.

Danke Hanna für die gewaltige Darstellung, beeindruckend!
NRE
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#8

Beitrag von NRE »

Hallo Hanna,
es tut mir leid, dass du so negative Erfahrungen mit HG und CI machen musstest. Dein Bericht ist auch für mich ein Denkanstoß.

Allerdings und Gott sei Dank gibt es auch andere Hörbiographien. Ich bin seit ca. 40 Jahren hochgradig schwerhörig (WHO4) und trage eben solange 16 Stunden am Tag Power HG. Die von dir genannten "Nebenwirkungen" sind bei mir, bis auf Ausnahmen, bisher nicht aufgetreten.

Viele Grüße und alles Gute
Han_na
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#9

Beitrag von Han_na »

Oh, so viele Antworten schon, super! Vielen Dank dafür!!!

dann will ich mal antworten, bzw. weiterfragen, nachhaken.
Michael1 hat geschrieben: Nur zur Sicherheit, ob ich das auch richtig verstanden habe:
Das ALLES haben auch Sie ALLES an sich selbst beobachtet?
Ja, ich hatte geschrieben, fast alle dieser Symptome, 95% mindestens. Ich bekam sie ja nicht über Nacht, aber ich wandelte mich von einem aufgeschlossenen, fleißigen, begeisterten Menschen zu einem wirklich abartigen Monster, und das über einen langen Zeitraum. Ich habe Freunde gefragt, Kollengen, Ärzte und wen weiß ich noch! Keiner konnte mir sagen, warum ich so 'aufgedreht' und aufgekratzt war, vor allem die Aggressionen waren unerträglich. Nicht nur für mich, aber ich musste sie den ganzen Tag unterdrücken.
Die Schlafstörungen und die Appetitlosigkeit führten zu einem Gewichtsverlust von 14 kg, und ich konnte schon nichts mehr schlucken, d.h. ich 'ernährte' mich nur noch flüssig. Na, alles kann ich hier jetzt nicht schildern, mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran zurückdenke.. Aber dafür hab ich mich heute ganz gut wieder gefangen. Nur dass ich noch lange nicht mehr so belastbar bin, wie vor meinem Zeitlupen-Unfall.
Rondomat hat geschrieben: Ich hatte durch den anfänglichen sehr guten Erfolg meiner CI-Versorgung ebenfalls durch mutiges Hochfahren der CIs eine Hörnerv-Reizung davon getragen, an der ich über 10 Monate zu knabbern hatte.

Erst das langsame anschliessende Hochfahren, eine zweieinhalbmonatige Reha und andere Massnahmen führten so allmählich zu einem stressfreieren Gesamtzustand.
Oh, das ist ja sehr interessant, denn eine Untersuchung hatte ich noch gar nicht, wurde mir bisher verweigert. Bitte kannst du mir noch sagen, wie deine Hörnerv-Reizung festgestellt wurde? Und was meinst du mit dem langsamen anschliessenden Hochfahren? CIs lauter machen? Ich war sogar extra in der Klinik und habe um eine umfassende Untersuchung meiner (tauben) Hörorgane gebeten. Nein, war die Antwort, zu aufwändig. :( Da ich da aber schon ein seelisches Wrack war, sollte ich ersteinmal zur Ruhe kommen. Nun, das liegt jetzt auch einige Monate zurück. Jetzt setze ich jetzt all meine Hoffnung auf die Reha, die ich gerade erkämpfe.
Daher interessiert mich brennend, wie das bei dir festgestellt wurde, dass dein Hörnerv überreizt war.
Hörer2018 hat geschrieben:Genau, auch mal abgeschaltet lassen.
Obwohl einem meist erzählt wird, HGs immer tragen.
Vielen Dank auch dir, und ja, die AKUs wollen ja nicht, dass wir 'Misserfolge' haben, wegen ihren Bilanzen. Es dreht sich leider auch auf diesem Wirtschaftssektor Hörhilfen alles um die Wirtschaft und Zahlen. Insofern werden Hörhilfenprobleme gerne mal auf den Patienten geschoben. Leider blenden auch die AKUs den Umweltlärm völlig aus, dem wir mit digital verstärktem, oder erzeugtem Gehör ausgeliefert sind. Insofern kann das großstädtisch alltägliche Tragen eines Hörsystems den Menschen völlig zugrunde richten, und alle andern stehen mit offenen Mund außenrum, weil kein Mensch daran denkt, dass das Hörsystem den Lärm eben nicht ausfiltert, so wie ein natürliches Gehör. Und dass dieser Lärm eben für digitale Ohren absolut schädlich ist für die Psyche des Menschen.

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Wusstet Ihr, dass das Wort Lärm aus dem italienischen kommt? 'All'arme' heißt auf deutsch 'zu den Waffen', und daraus hat sich das Wort Lärm abgeleitet. Was vielen nämlich überhaupt nicht bewusst ist - so wie mir damals - dass das Gehirn genau diesselben Hormone ausschüttet, wenn wir Lärm ausgesetzt, oder wenn wir lebensbedroht sind. Das Gehirn reagiert organisch auf Lärm mit 'alarm'. Das ist überhaupt kein Geheimnis, sondern mit ein Grund, warum Lebewesen in der Wildnis überleben können.
Wohlgemerkt, ich spreche nicht vom gewollten Lärm, etwa auf Parties oder Konzerten. Ich spreche von täglichem Dauerlärm, oder Lärm auf der Arbeit. Für mich macht das absolut Sinn und ich habe Hersteller, Ärzte, und Fachleute direkt gefragt, sie höflich angeschrieben, um Antworten gebeten. Nie habe ich eine bekommen, ich wurde nur 'aufgeschoben'. Man melde sich diesbezüglich noch bei mir.
Tatsächlich fragt kein Arzt, oder Akustiker danach, wie das tägliche Hörumfeld seines Patienten aussieht. Man setzt auf Medikamente, aber nicht auf Schutz vor Lärm. Stille kennt heute kaum noch einer, und jene die sie kennen, wissen wie kraftvoll sie ist, wenn man sie in sich aufsaugen kann. Mir scheint es, als fliehe die Menschheit vor der Stille in den Lärm, weil absolute Ruhe bei Vielen Ängste auslöst. Man setzt Stille heute mit Stillstand gleich, und es muss ja weitergehen! Hopp, hopp, schnell, schnell!

Dennoch fühle ich mich verpflichtet, aus reiner Menschlichkeit, allen Hörgeschädigten, die ich erreichen kann, zu sagen: passt auf! Dosiert euren Lärm. Täglicher Dauerlärm ist die Hölle auf Erden für einen Menschen, der sich dagegen nicht wehrt, oder wehren kann. Nach außen sieht es immer nur so aus, als ob einer so langsam 'durchdreht'. Wer aber dann auf der Suche nach den Ursachen das Gehör vollkommen ausblendet, der wird wohl so viele Probleme im Leben haben, dass er eine Therapie braucht. Ist dann halt ein schwieriger Charakter.
Meiner bescheidenen Meinung nach sollten Ärzte verpflichtet werden, bei Jung und Alt immer nach dem Hörumfeld zu fragen. Wenigstens zu fragen! Es kann doch nicht sein, dass Dauerbeschallung überhaupt keine Folgen hat. So wie Diesel, oder Plastikverpackungen... Und innere Schäden, die aus heiterem Himmel kommen (keine privaten Probleme), sind doch keine Charaktersache.

Im übrigen habe ich in der Zeit, auf der Lärmarbeit, fast jeden Monat Einstellungen gehabt, um diesem Lärm Herr zu werden. Ich kam nicht darauf, dass ich hier ganz raus musste, dass ich dort nicht hin gehörte, eben weil meine Ohren sich nicht mehr selbst schützen können. Sie sind bereits tot... Jetzt bin ich dafür verantwortlich, was ich 'reinlassen' darf, und was bitte tunlichst nicht. Seit ich selbstverantwortungsbewußt höre, habe ich mich innerlich wieder stabilisieren können. Mir ist jetzt klar, dass der Verlust meines Jobs nicht so schlimm sein kann, wie der Verlust meines Verstandes, meines Gehörs und meines Lebens.

Im Grunde ist dies meine Botschaft, weil ich die Lärmschäden zweimal im Leben hatte, die Zusammenhänge sind nur allzudeutlich, da muss man kein Sherlock Holmes sein.

Ich danke euch wirklich sehr, für eure Anteilnahme, und eure Aufmerksamkeit. Wenn ihr nicht sicher seid, ob meine Erfahrungen für euch auch stimmen, dann könnt ihr das jederzeit prüfen, indem ihr einmal darauf achtet, wie ihr euch fühlt, bevor ihr in ein volles Restaurant geht (z.B.), und wie ihr euch danach fühlt. Rein organisch, körperlich. Unsere Körper geben durchaus deutliche Signale, wenn wir sie überlasten. Ich habe darauf nie geachtet, bis ich gezwungen wurde. Das muss keinem Menschen mehr passieren, bitte nicht!
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Jani
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#10

Beitrag von Jani »

Liebe Hanna,

jetzt möchte ich gerne wieder etwas zu deinen Worten sagen. Denn du beschreibst die Thematik mit dem Lärm so treffend, dass ich mich jetzt wirklich sehr gerne an dieser Diskussion hier beteilige! Ich danke dir dafür, denn meine Beteiligung im Forum hier hat in letzter Zeit etwas nachgelassen aus diversen Gründen.

Ich kann dir da nur zustimmen, was die Sache mit der Aufklärung über Lärm angeht. Ich selbst habe bisher auch noch keinen Arzt erlebt, der seinen Patienten nach dessen Hörumfeld geschweige denn der Akustiker! Schon irgendwo erschütternd, oder? Ich meine, wenn die Ärzte wissen, dass es Hyperakusis gibt, die sie ja auch feststellen können, aber eher weniger auf die Notwendigkeit von Hörpausen bei uns Hörgeschädigten hinweisen. Bis auf die Psychologen in meiner Reha 2013, die uns tatsächlich auf Hörpausen hinwiesen, sagte davon noch kein Arzt etwas bisher. Und selbst im Studium im Bereich Hörschädigung lernt man leider kaum etwas über die Hyperakusis, über die Auswirkungen von Lärm auf Hörgeschädigte usw. Dies wird lediglich kurz mal angeschnitten, aber das war es auch schon. Leider...
Seit nach Geburt hörgeschädigt.

rechts: Naída Q70 CI seit 2001
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"Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." (Antoine de Saint-Exupéry) :blume1:
Rondomat
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#11

Beitrag von Rondomat »

Hallo Hanna,

die Hörnervreizung hat sich als solche erst heraus gestellt, als sie am Abklingen war. Aber dazu muss man wissen, wie das Ganze überhaupt ablief:

Ich bin mit dem zweiten CI (linke Seite) sozusagen senkrecht durchgestartet, sofort nach der Erstanpassung konnte ich zum Telefon greifen und nach Hause telefonieren, das CI fühlte sich super an, Tinnitus war weitgehend Geschichte und so vergingen einige Wochen und zwei weitere Anpassungen. Dabei wurde dann - auf mein Betreiben hin und auch weil ich mich sehr gut damit fühlte - die Stimulation immer weiter hoch gesetzt. Alles war gut, bis ich eines Nachts aufwachte und auf genau der linken Seite ein Dröhnen im Kopf hatte, das man so beschreiben kann: Du stehst in einem Glockenturm, die grösste Glocke, die da hängt, fängt an zu schlagen .... und der Schlag dauert dann so zwei, drei Stunden an, es ist laut im Kopf, das CI kommt dagegen nicht an. Nach dem Abklingen erlaubte mir die Glocke zwei, drei Stunden Ruhe, dann ging das Dröhnen wieder von vorne los. So ging es für zweieinhalb Monate. Kaum eine Nacht durchgeschlafen, die Arbeit konnte ich ebenfalls niederlegen und so verbrachte ich die Zeit erstmal überwiegend CI-los in Sauna, ruhigen Wäldern und im Garten, es war ja Frühsommer.

Niemand wusste, was das sein könnte, die Ärzte vermuteten einen extremen Tinnitus, aber der Auslöser - also ggf. das CI - war wohl nicht messbar daran beteiligt. Auch die Audiologin der Klinik, die mich nachbetreut, hat viel probiert, es wurde aber nur unwesentlich besser. Also begab ich mich nach ca. 2 Monaten wieder in meine Klinik, die mich implantierte. Dort blieb ich vier Tage, und der dortige Audiologe hat dann eine Einstellung gefunden, die gerade so ausgereicht hat, gut zu verstehen.

Tatsächlich gingen die Dröhnattacken etwas zurück, sie waren zwar immer noch sehr laut, aber die Abstände dazwischen wurden länger. Geschlaucht von so vielen Dröhnungen habe ich eine Reha beantragt und auch bewilligt bekommen, in St. Wendel war ich dann für zweieinhalb Monate. Dort kam ich vollends zur Ruhe, und die CIs wurden von Grund auf langsam und allmählich wieder hochgefahren - damit ist ja nicht nur die Lautstärke gemeint, sondern die Stimulationsrate, die Art der Stimulation usw. .... Dabei habe ich auch sehr viel über die CIs selbst, den ganzen seelisch/psychologischen Aspekt drumherum und auch viel über mich selbst gelernt. Von Haus aus eher ungeduldig, war jetzt Zwangs-Insichgehen angesagt. Insgesamt war das alles trotz aller Widrigkeiten auch eine wertvolle Erfahrenszeit über mich selbst.

Die tatsächliche Ursache für dieses Phänomen ist nach wie vor ungeklärt, aber da dieses Dröhnen von innen kam (auch und vor allem bei ausgeschaltetem CI), lässt dies nach meiner Ansicht und den Fachleuten drumherum nur diesen Schluss zu: Irgendein Nerv wurde falsch stimuliert, dies wurde vom Hörzentrum falsch interpretiert und dies leider sehr nachhaltig.

CIs tragen macht man nicht so nebenher - egal wie gut die Dinger angepasst sind: Es ist und bleibt je nach Situation anstrengender als normales Hören, man muss sich kümmern, und sich dabei immer wieder neu justieren. Ich muss Strategien suchen und finden für das optimale Umfeld, in dem ich höre und viele andere Dinge.

Meine Affinität zu allem, was mit Hören, Verstehen und der notwendigen Technik dazu verbunden ist, hilft mir dabei. Während der fünf Jahre, in denen ich nun Cis trage, habe ich das Ganze etwas zu einer Art Hobby gemacht, um das alles auch für mich selbst gut verarbeitbar zu machen. Und mein ureigener Grund-Optimismus tut auch seinen Teil dazu.

Sehr geholfen hat mir dabei auch die Selbsthilfe, hier traf ich Gleichgesinnte und der Austausch - nicht zu verwechseln mit gegenseitigem Bejammern, das gibt es hier gottseidank nicht - hat mir stets geholfen.

Daher bin ich nun selbst mit viel Freude in der CI-Selbsthilfe tätig und versuche, weiter zu lernen und beispielsweise hier, wo immer es passt und wo sich die Gelegenheit dazu ergibt, Rat und Unterstützung zu geben.
Zuletzt geändert von Rondomat am 6. Jun 2018, 09:59, insgesamt 1-mal geändert.
Viele Grüsse, Rainer
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Dani!
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#12

Beitrag von Dani! »

Rondomat hat geschrieben:Unter Lärmstress leiden auch normal hörende Menschen. Für uns HG- und CI-Träger werden solche Lärmstress erzeugenden Dinge wie Partyeffekt, Dauerberieselung in Kaufhäusern, auf Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen und noch viele andere, besonders belastend.
Danke für den tollen Beitrag!
Was an dieser Stelle von normal Hörenden (nH) gerne übersehen wird ist der Grund, warum man mit HGs bei Lärm stärker belastet ist als ein nH (hier kann ich nicht von CI-Trägern sprechen, nur von HGs):
Ein HG-Träger hat zwar eine höhere Hörschwelle, aber die meisten empfinden Geräusche oberhalb der Hörschwelle als genauso laut/unangenehm wie ein nH. Um aber einen akustischen Kontrast im Bereich der Hörschwelle zu bekommen, muss auch ein großer Teil darüber verstärkt werden. Man wird also permanent mit mehr Lärm konfrontiert als ein nH.

Setzt man beispielsweise mich bei 3kHz mit 100dB zu, dröhnt mir der Kopf. Aber ich höre es nicht! Eine längere Beschallung wäre für mich daher extrem Stressbelastend. 100dB ist natürlich sehr viel, aber das konnte man im Tonaudiogramm wunderbar feststellen. Bei etwas niedrigeren Frequenzen werde ich in ruhigen Umgebungen immerhin mit 80dB beschallt, warum sollte das kein Stress verursachen? Daher nutze ich heute schon nach Möglichkeit jede Gelegenheit, die HGs herauszunehmen.
Meinem Akustiker muss ich auch jedesmal auf die Füße treten, dass G80 ab 1kHz maximal knapp oberhalb von G65 liegen darf (in der Ansicht für Ohrsimulation). Von wegen, niemand macht das vorsätzlich zu laut.
Manchmal liegt dir die Welt zu Füßen
und doch bist du zu alt, dich nach ihr zu bücken.
Dominik
R: 20.2.20: Med-el Sonnet2
L: 16.12.20: Med-el Sonnet2
Han_na
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#13

Beitrag von Han_na »

Hallo Jani,

ja leider wird Hyperakusis wohl erkannt, aber nicht davor gewarnt. Es ist wirklich unfassbar, wie Ärzte einen behandeln, sobald man sagt, dass man schwerhörig/taub sei. 'Oh, das ist nicht mein Gebiet, da müssen Sie zum Facharzt. Auf wiedesehen! Der Nächste bitte!' Sogar mein HNO schockte nicht nur mich, mit seiner komplett unüberlegten Antwort: "sie können keinen Lärmschaden bekommen, sie sind schon taub!", auf meinen Verdacht hin, alle Lärmschaden-Symptome durch Lärm+CI zu haben. Krass, oder?

Man meint doch, an einer unsichtbaren Panzerglasmauer zu stehen, und auf der andern Seite zucken sie mit den Schultern. Pech gehabt! Aber gut, wenn ich unheilbar krank bin, dann bin ich eben unheilbar krank.

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Hallo Rondomat, jetzt aber! Herzlichen Dank für deine ausführliche Schilderung, in der ich meine Probleme wiedererkenne. Diesen Dröhnitus hab ich auch seit ich diesen Krachjob hatte, nur dass er nicht plötzlich, sondern schleichend kam. So schleichend, dass mir das lang erstmal gar nicht aufgefallen ist. Aber genau so, als stünde man in einer Riesenglocke unter der Nachvibration des Schlags. Aufgefallen ist mir, dass ich Einschlafprobleme bekam, weil ich einen 'Autorennbahn' Tinni hatte. Das heißt, den hab ich immernoch, aber nicht mehr ganztags, sondern nur, wenn ich mal 10 min gehört hab, oder mich stresse.
Aber das Heulen unzähliger Motoren, die an meinem inneren Ohr vorbeirauschten, wurde auch gerne von diesem Dröhnton unterbrochen.

Ach Tinnitus... Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, welche Töne ich höre, und wie ich damit umgehe. Manchmal ist er so arg, dass ich den Kopf schütteln muss, um den Ton zu unterbrechen. Ja, das geht manchmal. Und dann wird aus dem Mmmmmmmmmmmm ein Mümümümümümü. Für Töne gibt es leider keine passenden Schriftzeichen, aber ich hoffe du verstehst, was ich meine. Brummton, der durch heftiges Kopfschütteln durchbrochen wird.

Huiuiui, da hab ich noch was vor mir.

Wisst ihr, in der FB-Gruppe hab ich wöchentlich von CI-Problemen gelesen, aber die, die nach Jahren plötzlich auftauchten, die haben mir immer sorgen gemacht. Nun bin ich selbst eine von Jenen, die nach einer herrlich 'unbeschwerten' Anfangsphase, plötzlich massive Probleme haben.

Kinder übrigens, können mit ihren spitzen Schreien bis zu 110 db erreichen. Das hat bei mir für tägliches Elektrodenknacksen und -ausfallen gesorgt. Das heisst 'K-K-Kck' bei jedem 'AAAAAAH' in 4-6 kH.
Die Antwort der Fachleute? Auf gefühltes 30mal nachfragen, schreiben, beschreiben, wachrütteln: "schulterzucken, hm, haben wir noch nie gehört". Nachgehen wollte dem auch keiner.

Ich darf das alles gar nicht mehr schildern, ich rege mich grade wieder total auf. Bin noch nicht wirklich überm Berg. Aber ich "freue" mich, wenn es euch auch so geht (sofern man sich über die Auswirkungen vom Alltagslärm freuen kann). Ja, da fühlt man sich gleich nicht mehr so 'gestört'. Schön, mal Zustimmung zu bekommen, wo sonst jeder mit dem Kopf schüttelt und den Schultern zuckt.
Zuletzt geändert von Han_na am 7. Jun 2018, 07:17, insgesamt 1-mal geändert.
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Hörer2018

Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#14

Beitrag von Hörer2018 »

Hallo Han_na
Ich bitte dich, schreib dein Buch.

Nicht von mir: „Nur wenn man etwas verstanden hat und akzeptiert hat, hört der Leidensdruck auf. Das ist bei jedem Krankheitsbild möglich.“

Klar, Dauerschmerz hört nicht auf, dafür bleiben am Schluss wohl nur med. Drogen. Aber alles psychisch zu Verkraftende mit seinen Folgen wird besser.
Jani
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#15

Beitrag von Jani »

Hallo Hanna,

genau so ist es, es wird nicht vor Hyperakusis gewarnt. Ich meine, man könnte ja auch sich präventiv davor schützen, indem man öfter Hörpausen einlegt oder wie auch immer.

Ja, der liebe olle Tinnitus. Ich habe seit der 2. CI-OP Tinnitus (davor hatte ich nur selten minimal Tinnitus), hatte drei verschiedene Klänge immer bzw. Geräusche! Zuerst war es ein schönes Summen, dann war es ein Klingeln und dann war es ein - ach, das dritte Geräusch weiss ich nimmer! Jedenfalls konnte ich oft erst spätnachts einschlafen, weil der so unheimlich laut war! Bin manchmal fast kirre geworden deswegen, da ich ja eigentlich schlafen wollte.
Ok, seit einiger Zeit ist es wieder besser geworden mit dem Tinnitus. Ich habe festgestellt, der Tinnitus kommt erst dann wieder zum Vorschein, sobald ich Stress habe bzw. ich zuviel Reizüberflutung hatte vom Hören her meine ich. Was ich auch nicht gedacht hätte, ist, dass ich sogar Tinnitus habe, wenn mein 1. CI aktiv ist. Tja, alles ist möglich, wie man sieht. ;-)

Ja, Hanna, das tut dir und deiner Gesundheit nicht gut, wenn du dich so aufregst. ;-) :-)

@ Hörer2018: Ja, das ist echt eine gute Idee, dass Hanna ein Buch schreiben soll. Top Vorschlag!
Dein Zitat, auch wenn übernommen, bringt das Ganze super auf den Punkt!

Und Hanna, auch ich hatte lange Zeit einen Leidensweg hinter mir mit meinem 1. CI. Du bist also nicht alleine mit deinen Problemen. Wir müssen uns einfach nach Möglichkeit gegenseitig helfen hier in diesem Forum, finde ich. ;-)

Liebe Grüße Jani :-)
Seit nach Geburt hörgeschädigt.

rechts: Naída Q70 CI seit 2001
links: Naída Q90 CI seit 2018

"Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." (Antoine de Saint-Exupéry) :blume1:
Han_na
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#16

Beitrag von Han_na »

Hallo Jani, das ist sehr interessant, wie du deinen Tinnitus beschreibst. Ein Buch werde ich so schnell nicht schreiben, aber ich wollte damit sagen, dass ich glaube alle Tinni-Arten zu kennen. Von Musik, über Klopfen, Dröhnen, Summen, Motorenheulen... Daher meinte ich, das würde ein Buch werden (das Forum auch sprengen).

Was ich nur noch so x-y-ungelöst finde, ist dass es seit dem Lärmstress schlimmer geworden ist, sodass ich Monate in Taubheit verbringen musste, bis mein auditives Wahrnehmungszentrum sich einigermaßen beruhigt.

Beim Einschlafen ist der Tinni auch nicht sehr hilfreich, wodurch ich immer weniger Schlaf hatte. Der ganze Frust und meine Hilflosigket nahmen zu, mein Apetit ab. Am Schluss verlor ich am Tag 500g-1 kg. Täglich! Als es da kritisch wurde, und ich schon gar nicht mehr schlucken konnte, bin ich zum Arzt. Der hat mich zum Glück direkt 'aus dem Verkehr' gezogen. Gott sei Dank!

Nee, ich weiß, dass die meisten CI Träger einen Leidensweg hinter sich haben, ich hatte nur immer Schiss, dass mir das auch mal passieren könnte. Ich finde schon merkwürdig, dass es so viele Fälle gibt, wo das CI nach einer längeren Zeit massive Probleme macht. Tja, jetzt ist es mir auch passiert.

Gibt es hier im Forum denn noch andere, die Hyperakusis haben? Mit CI?

Mein Ohrenarzt wollte mir nichtmal bescheinigen, dass ich Lärmstress habe (weil ich schon taub sei)...
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#17

Beitrag von Katja_S »

Hallo,
bei nuns ist es ja so, dass nicht ich, sondern mein Sohn CI versorgt ist. Zeichen, dass ihm etwas zu laut ist oder er irgendwelche unangenehmen Geräusche (Tinnitus z.B.) hört, macht er gar keine (trägt seine CIs jetzt 9 bzw. 6 Jahre). Bei ihm liegen aber auch alle Einstellungen deutlich unterhalb der NRT Messungen. Ob das was damit zu tun hat, weiß ich nicht, aber ein fremder Techniker (unserer war zum Rehatermin leider krank) hat mal gemeint, er müsse die SPs exakt nach den NRT Messungen einstellen (ohne auf E. Reaktionen zu schauen)- und das, obwohl er auch mit der "alten" Einstellung gute Hör- und Sprachtests hatte. Das war das einzige Mal, wo er danach ab und an bei lauten Geräuschen zusammengezuckt ist- "unser" Techniker hat das dann bei nächster Gelegenheit wieder "runtergeregelt", danach war wieder alles ok. Ich hoffe, es bleibt dabei. Ich würde jetzt mal behaupten, dass mein Sohn nicht unbedingt einem Dauerlärmpegel ausgesetzt ist, eher mal in einzelnen Situationen und evtl. in der Schule.

Uns wurde immer gesagt, dass das CI nur bis zu einer bestimmten Lautstärke verstärkt und das Geräusch dann nicht mehr lauter werden kann (er dann also alles, was noch lauter ist, so hört, wie eben dieser Grenzwert eingestellt ist). Unser Techniker konnte uns jetzt allerdings keine genaue dB Grenze nennen, ab der mein Sohn dann alle Geräusche gleich laut hört (weil die Grenze bei ihm am Computer wohl in Stromstärke angegeben ist, die nicht überschritten wird).
Liegt der Lärmstress dann vielleicht daran, dass dann eben (zu) lange Geräusche in diesem maximalen Lärmpegel am Ohr ankommen (auch wenn einzelne Geräusche dann vielleicht gar nicht sooo laut sind)? Quasi am Dauerbeschuss? Oder das diese Grenze zu hoch eingestellt ist/war?
Ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen, dass es mit dem Hyperakustikus wieder besser wird!
Viele Grüße
Katja
Katja mit Erik (geb. 2008), mehrfachbehindert, u.a. sehbehindert und gehörlos
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Han_na
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#18

Beitrag von Han_na »

Hallo Katja,

vielen lieben Dank für deinen Bericht, der ist für mich hochinteressant zu lesen. Denn eine Neuprogrammierung durch einen Fachmann gab es bei mir auch. Nur dass ich nicht so gut informiert wurde, wie du. Und wenn man mir das verbal schon erklärt hat, dann habe ich es aufgrund des Unverständnisses wohl auch schnell vergessen. Daher ist dein Text für mich gerade sehr viel wert.

Das mit dem Dauerbeschuss ist auch mein Verdacht, aber unter einem täglichen Durchschnitt von etwa 80 db. Da es oft sehr voll war, kam es an 4/6 Tagen zu deutlich mehr als 80 db.

Bevor ich dort anfing zu arbeiten, hat mir Lärm hin und wieder nichts ausgemacht. Aber tendenziell habe ich immer an die SPs gegriffen und leiser geklickt. Das geht bei meinem Hersteller (AB). Das mit dem Grenzwert, den hab ich monatlich runter setzen lassen, da ich das Hören immer anstrengender empfand, vor allem psychisch -> und infolge dessen körperlich.

Eigentlich hätte ich schon viel früher die Bremse ziehen müssen, bzw. wenn es denn 'Warnungen' vor Lärm gäbe, sowie vor Nässe, hätte ich den Job gar nicht erst genommen. Und das ist der Punkt, den ich am fahrlässigsten von den Herstellern finde.
Ich habe sogar vorgeschlagen, dass - gerade bei 'CI-Eltern', also die, die nicht selbst implantiert sind, sondern ein Kind mit CI haben - unbedingt die Kontrolle haben darüber müssen, was die Kinder zu hören bekommen. Nach vielen vielen Worten, und mit Verstärkung meines AKUs, konnte ich den Fachmann wohl überzeugen, dass wir Hörsystemträger einen Kontrollknopf für uns brauchen, damit wir unsere Hörsysteme nicht zu lange in 'roten Zonen' tragen.

Dafür war meine Idee, einen Chip mit Anhänger und Knopf und LED mitgeben, der auf das jeweils eigene Hörprogramm angepasst ist, und uns per Knopfdruck die 'grünen', 'gelben' und 'roten' Zonen in unseren Leben aufzeigt.

Ein Beispiel: Dein Kind geht auf einen großen Kindergeburtstag, und du sagst deinem Kind, mach die Ohren aus, wenn es zu laut ist. So. Was kann ein Kind damit anfangen? Nicht viel, denn es achtet nicht auf die Lautstärke, sondern auf das Spiel und den Spaß.
Hätte Mama und Papa jetzt einen Dezibel-Chip, könnte man warten, bis alle kids da sind, und dann den Knopf drücken. Bei einem db-Bereich von 20-50 blinkt die LED auf Knopfdruck dann grün; bei 50-70 gelb; und schließlich ab 70 aufwärts rot. Das ist so simpel, dass sogar das Kind selbst checken könnte, ui muss ich jetzt leiser machen, oder besser ganz ablegen?

Ich wiederum hätte mit einem solchen Chip erstmal in Probe gearbeitet. Das Lämpchen wäre sicher viel öfter gelb und rot gewesen, als grün. Das hätte mich viel vorsichtiger gemacht, und ich wäre nicht durch die Psycho-Hölle gegangen, so wie damals, bei meinem ersten Unfall vor 16 Jahren. Damals wusste ich noch gar nichts über die Auswirkungen von Dauerlärm.

Wie gesagt, ich finde die Hörsystem-Hersteller haben diese Sache noch lange nicht zu Ende gedacht. Unsere Umwelt wird täglich und selbstverständlich lauter, und sie geben uns Hörverstärker mit! Ohne jegliche Selbstkontrolle. Dabei wäre so ein Chip in der Herstellung und Programmierung ein wirksamer Selbstschutz, mit dem wir unsere Gehirne (Hormone) viel besser schützen können würden. Leider weiß ich nicht, wem ich das noch sagen soll, bevor einer das mal auf den Markt bringt.

Aber mal eine Frage an euch: würdet ihr auch so einen Chip wollen, der auf euer Hörprogramm eingestellt ist, und ihr im vollen Restaurant schauen könntet, ob ihr leiser (gelb) oder ganz ablegen (rot) solltet? Ich meine, man könnte so auch effektiver nach ruhigen Ecken schauen, vor allem deshalb, weil HG-Träger bestimmte Frequenzen gar nicht mehr wahrnehmen.

Würde das für euch auch Sinn machen? Ein Dezibel-Chip? Oder wie man das nennen könnte? Von mir aus auch iNoisecheck ;)
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#19

Beitrag von Dani! »

Hallo Han_na!
Ich kann dir zwar nicht helfen, aber ich verfolge deine Texte sehr intensiv, weil ich sie für sehr lesenswert halte. Eins ist mir jedoch noch nicht klar geworden, vielleicht missverstehe ich da auch was:

Hyperakusis bedeutet für mich, dass man sehr sensibel auf (zu viel) Lärm reagiert, bevor die Unbehaglichkeitsschwelle und erst Recht Schmerzschwelle erreicht ist. Das ist doch das bessere "Meßgerät" als ein dB-Chip, um festzustellen, ob etwas zu laut ist.
Oder leidest du an Lärm-UN-empfindlichkeit, das letztendlich zur (schleichenden) Überbelastung des Gehörs (bzw. Hörzentrum im Gehirn) führt?

Ich selbst habe keine Diagnose, ich würde mich selbst aber der Beschreibung nach als Kandidat mit Hyperakusis bezeichnen. Wobei ich meine, dass sehr viele oder die meisten Hörgeschädigten empfindlicher auf Lärm reagieren als Normalhörende, oft auch einfach aus Angst vor höherem Hörverlust, manchmal aber auch, weil laute Umgebungsgeräusche von den HGs tatsächlich zu laut verstärkt werden, also falsch eingestellt sind.
Manchmal liegt dir die Welt zu Füßen
und doch bist du zu alt, dich nach ihr zu bücken.
Dominik
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L: 16.12.20: Med-el Sonnet2
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#20

Beitrag von Han_na »

Hallo Dani,

ich danke dir, für deine liebe Antwort und freue mich, wenn du meine (langen) Texte gern liest.

Das mit dem Messgerät ist nur als Kontrollfunktion gedacht, wenn man sich nicht sicher ist, ob eine Umgebung zu laut für ein digitales Ohr ist. Wer warten möchte, bis ihm Hyperakusis diagnostiziert wird, hat einen langen schweren Weg vor sich. Das ließe sich vielleicht vermeiden, indem der Digitalhörende eine Kontrollfunktion bekommt, nach der er den Pegel seiner Umgebung im Zweifel messen und justieren kann. So meinte ich das. Für Eltern z.B. wäre das sicher auch sehr nützlich, weil sie so aufpassen könnten, in Schulen und auf Festen, dass ihre CI-Kinder nicht schädlichem Lärm ausgesetzt sind - und Lärm nennt man es schon nach 1-2 Stunden. Dieser ist Gift für unsere Hörnerven und dem auditivem Wahrnehmungszentrum im Gehirn. Ein normalhörendes Ohr kann das ausblenden, weil sich die Sinneszellen flach legen, und somit weniger vom Lärm ins Gehirn transportiert wird. Das wußte ich früher auch nicht. Unsere Ohren können das in der Regel nicht mehr, daher ist das digitale Hören meiner Meinung nach mit höchster Vorsicht zu genießen, wenn man in einer lauten Umgebung wohnt.

Die Hyperakusis bringt vor allem psychische Störungen mit sich, die - wenn ignoriert - den Körper angreifen können. So bekommt man möglicherweise Symptome, die 'unerklärbar' sind, und wer unerklärbare, aber heftige Symptome hat, fühlt sich ausgestoßen, abnormal oder anders schlechter. Mein HNO wollte mir keine Hyperakusis bescheinigen, mein Haus(allgemein)arzt aber, bestätigte mir das. Die Rentenversicherung wiederum blockiert mir damit den Zugang zu einer (meiner ersten) Reha.

Lärmunempfindlich war ich, bevor ich den Lärmarbeitsplatz hatte (der als solcher natürlich nicht definiert, geschweige denn gemessen ist). Ich hatte meine Ohren ganztags an, und außer dem verrückten Tinnitus keine nennenswerten Probleme. Ich gehörte bei den Audiologen zu den Powerhörern, und ich war sehr glücklich damit - bin ich immernoch.

Heute ist es so, dass ich die Ohren gar nicht mehr tragen kann, ohne furchtbar körperlichen Stress zu bekommen. 1 Stunde am Tag ist schon sehr viel, wenn überhaupt täglich. Hören kann ich noch ganz gut, aber die Grenzlautstärke ist drastisch im Erdgeschoß. So bin ich mittelgradig schwerhörig, und hoffe in der Reha eine erträglichere Strategie zu bekommen.

Meine Kollegen haben sich übrigens auch sehr oft über den Lärm beklagt, und ich habe immer gesagt, och ich mach halt leiser. In den letzen Monaten hab ich dann immer nur noch leiser gedreht, bis ich niemanden mehr verstehen konnte. Heute ist mir sogar Stille zu laut, mein Körper sackt nach dem Ablegen der Ohren sofort in sich zusammen, so angespannt ist er immer noch.

Also zusammenfassend nochmal, ein db-Kontrollchip wäre hilfreich um Hyperakusis überhaupt gar nicht entstehen zu lassen, ob bei Kindern oder Erwachsenen. Bevor ich den Job hatte, hätte ich auch nicht gedacht, dass so etwas nützlich sein könnte. Aber ich hätte diese schlimmen Erfahrungen alle nie mitmachen müssen, hätte ich vorher irgendeinen Fachmann an der Seite gehabt, der mich gefragt hätte, wie laut ist denn ihr Job, messen Sie bitte mal nach. Sie dürfen nur bis maximal (...) db Umgebungslärm ausgesetzt sein, weil Sie digitale Ohren haben. Das hätte mich vor dieser Hölle, durch die ich sogar zweimal im Leben bin, bewahrt.

Na, so in der Art jedenfalls...
Zuletzt geändert von Han_na am 8. Jun 2018, 12:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#21

Beitrag von Musiker_72 »

Hallo,

ich kann zu dem ganzen Aspekt "CI" nichts beitragen, da ich keines trage. Ich hatte mir bis zu Deinem Post auch noch keine Gedanken darüber gemacht, an welcher Stelle "Hyperakusis" wohl lokalisiert ist - finde es aber nach dem Lesen Deines Beitrages absolut plausibel, dass hier das Gehirn und die Nerven eine entscheidende Rolle spielen und somit CI-Träger genauso betroffen sein können , ja müssen.

Ich selbst bin über die Hyperakusis zum Hörgerät gekommen. Ich habe eine leicht bis mittelgradige Schwerhörigkeit, die aber - vermutlich, weil ich ein aufmerksamer Zuhörer bin - den wenigsten bisher aufgefallen war. Auch ich arbeite zwar nicht an einem klassischen Lärmarbeitsplatz, bin aber dennoch zeitweise ziemlich lauten Umgebungen ausgesetzt, denen ich mich dann auch nicht so einfach entziehen kann.

Es gab dabei einen wöchentlichen, besonders lauten Termin. Im Anschluss an diesen war ich den ganzen restlichen Tag zu überhaupt nichts mehr zu gebrauchen, und auch am nächsten Tag fühlte ich mich völlig erschöpft.

Für mich ist Hyperakusis "einfach nur weglaufen und verkriechen wollen".

Mir geht es mittlerweile besser, was ich im Wesentlichen auf zwei Sachen zurückführe:
a) Ich habe jetzt ein Hörgerät. Dieses ermöglicht mir anstrengungsfreies Zuhören.
b) Ich habe durch eine berufliche Umstellung (sozusagen Schwerpunktverlagerung) die lauten Situationen heruntergefahren.

Zusätzlich bin ich extrem pingelig mit Lautstärke. Ich habe die folgenden Optionen:

a) Leise Umgebung: Hörgerät drin, alles klingt prima.
b) Lautere Umgebung: Ich nehme die Hörgeräte raus.
c)Noch lautere Umgebung (mit Abstufungen): Ich habe Elacin Gehörschutz und Filter in 9dB, 15 dB und 25 dB. Je nach Lautstärke setze ich diese ein. Das sind dann zumeist Musikveranstaltungen, kommunizieren - insbesondere mit dem 15 und 25 dB Filter - kann ich dann natürlich nicht mehr wirklich.

Zum Vergleich: Wenn ich die 9dB Filter einsetze, sind das Lautstärken, die für Normalhörende noch völlig stressfrei sind.

Einen dB-Chip fände ich sinnvoll. Ich hatte das schon ein paar mal (nicht so oft), dass ich mir dachte "das war jetzt aber doch zu viel", was ich währenddessen aber nicht bemerkt hatte.

Jetzt meine Gedanken und Fragen zum CI : Es ist meiner Ansicht nach absolut nicht ausreichend, die Maximallautstärke (hier: Die maximale Ausgangsspannung der Nervenstimulation) zu begrenzen. Zusätzlich müsste sich das CI mit WDRC (wide dynamic range compression) an die Gesamtsituation anpassen, das heißt: Die Verstärkung insgesamt herunterfahren und den Kniepunkt der Kompression an eine andere Stelle legen. Wie hier schon gesagt wurde: Sonst liefert in lauten Situationen das CI praktisch die ganze Zeit über Signale der Maximalen Stärke, man hat also keine Pause mehr.

Leisten CIs das heutzutage schon?

Liebe Han_na , ich wünsche Dir, dass die Genesungsphase weitere Fortschritte bringt und Du dann die digitalen Ohren auch wieder häufiger benutzen kannst. Vielleicht kann Dir ja auch eine kritische Auswahl der Hörsituationen, denen Du Dich aussetzt, helfen.

LG

Musiker_72
Michael1
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#22

Beitrag von Michael1 »

Ich möchte spät auch noch meine Sichtweise beitragen.
Ich verstehe da etwas nämlich nicht. 2 Dinge sind es:
a)Niemand ist gezwungen ein HG zu tragen. Alles freiwillig.
b)Feldtest: So kann man es sehen. Die vielen HG-Träger sind Teilnehmer eines Feldtests. Angenommen, von den Geräten ginge eine definierbare und beobachtbare(!) Gefahr in der beschriebenen Bandbreite aus. Dann wäre es sehr ungewöhnlich, sie würde über den Lauf der Jahre nicht bemerkt. Die meisten Träger dürften HNOs regelmäßig besuchen. Nach den Beschreibungen hier kämen noch andere Ärzte in Frage. Ich habe noch nie irgendwo von Warnungen vor den Gefahren von HGs gelesen. Von meinem HNO Arzt nie. Verschwörungstheorien im Sinne von „die verdienen ja alle daran“ halte ich für Quatsch, solange nicht belegt.
Die einzige Gefahr, die tatsächlich von den Geräten ausgeht, ist die Lautstärke dann, wenn man sie permanent lauter, als notwendig trägt. Es ist anzunehmen, dass darauf jeder seriöse Akustiker hinweist.
Ich trage HGs seit 7 Jahren und ich bin dankbar, dass es sie gibt. Der Feldtest beweist, dass die über-überwiegende Mehrheit der Träger das so sieht.
Natürlich mag es Einzelne geben, die so ein Gerät im Ohr anders empfinden. Dann verweise ich auf a).
Gruß Michael
Zuletzt geändert von Michael1 am 10. Jun 2018, 15:23, insgesamt 1-mal geändert.
nixverstahn
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#23

Beitrag von nixverstahn »

Michael1 hat geschrieben: Ich habe noch nie irgendwo von Warnungen vor den Gefahren von HGs gelesen. Von meinem HNO Arzt nie. Verschwörungstheorien im Sinne von „die verdienen ja alle daran“ halte ich für Quatsch, solange nicht belegt.
Gruß Michael
moin Michael 1,

nun, es gibt - hier, wie sonst im Leben auch - zwei Sichtweisen:
die EINE Sichtweise hält alles für UNgefährlich, solange das Gegenteil nicht "wissenschaftlich korrekt" nachgewiesen ("belegt") ist.
die andere Sichtweise hält alles für potenziell gefährlich, solange die Ungefährlichkeit nicht "wissenschaftlich korrekt" bewiesen ("belegt") ist.
bei Sichtweise eins ist die Gefahr sehr groß, dass Fachmann nicht sehen will, was die eigenen Einkünfte schmälern könnte :)
Folglich hast du sehr recht:
wer zu Sichtweise zwei tendiert, der möge besondere Vorsicht walten lassen.

mit HG
jahrelang
nixverstahn
"Wahrheit" ist für mich DAS, was in den beschränkten Platz zwischen meine Ohren passt - und wie ist das bei DIR? :)
BenB
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#24

Beitrag von BenB »

Hallo Musiker,

sehr guter Beitrag!

Eine Anmerkung aber, wenn Du gestattest:

Ein CI-Prozessor arbeitet gänzlich anders als ein HG. Beim CI werden - in etwa wie bei einem Vocoder - die Hüllkurven einzelner, schmaler Band"ausschnitte" übertragen, weshalb Breitbandkompressoren da nicht die Hauptrolle spielen. Effektiver ist die Manipulation der einzelnen Hüllkurvensignale.

Nachrichtentechnisch eine nicht ganz triviale Angelegenheit - das gebe ich absolut zu... ;)

Gruß Ben
Zuletzt geändert von BenB am 11. Jun 2018, 08:31, insgesamt 4-mal geändert.
Rondomat
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Re: Warnung vor Lärm mit Hörsystemen (viel Text)

#25

Beitrag von Rondomat »

Hier gibt es ein schönes Papier zu der Arbeitsweise des CIs, das ist zwar aus 2010, aber grundlegend gilt das heute noch:

https://www.med.uni-magdeburg.de/unimag ... p-8859.pdf
Viele Grüsse, Rainer
_________________________________ Ich habe dauernd Med-el's im Kopf ....
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