Rat- und Wissen gesucht

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EMS
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Rat- und Wissen gesucht

#1

Beitrag von EMS »

Hallo zusammen,

lange habe ich überlegt, ob ich hier mal schreibe.
Ich brauche Rat bzw. eigentlich eher klare Meinungen sowie Input von Wissenden und Betroffenen.

Zu unserer Geschichte: Unser Sohn musste 11 Wochen zu früh geholt werden und war dann erstmal 7 Wochen auf der Frühchenstation, ehe er nach Hause durfte. Am Tag seiner Entlassung wurde der OAE-Test gemacht. Dieser war beidseitig auffällig. Hatten uns dabei erst nichts gedacht, da das auf den letzten Drücker in einer „husch-husch-Aktion stattgefunden hat. Mit 9 Wochen (korrigiert also noch vor ET) waren wir in der Pädaudiologie. Trommelfell war super, OAE und Beraphone beidseitig auffällig. Wieder zwei Wochen später mit 11 Wochen (korrigiert kurz vor ET) hatten wir die frequenzspezifische BERA im normalem Schlaf mit folgenden Ergebnissen:

Chirp:
Rechts 35 dBnHL
Links 45 dBnHL

ASSR:
Rechts 35 - 40 - 45 - 25 dBeHL 0,5 - 1 - 2 - 4
Links 20 - 35 - 60 - 35 dBeHL 0,5 - 1 - 2 - 4

Man teilte uns noch mit, dass es eine sog. Hörbahnreifung gibt, theoretisch bis zum 18. Lebensmonat und man die Hoffnung hätte, es würde sozusagen nachreifen bei Stimulation und Input.
Wir sind direkt zum Akustiker. Die HG‘s erhielten wir dann zwei Wochen später mit 13 Wochen (korrigiert 2 Wochen). Nun ja, am Anfang war es sehr wenig Zeit, die er die HGs trug, da er noch überwiegend schlief und nur zum Essen wach wurde.
4 Monate später mit 6,5 Monate (korrigiert 4 Monate) hatten wir dann eine Kontrolle. Trommelfell war super. Die frequenzspezifische Bera wurde diesmal unter Melantonin durchgeführt mit folgenden Ergebnissen:

Chirp:
Rechts 40 dBnHL
Links 45 dBnHL

ASSR:
Rechts 45 - 40 - 25 - 45 dBeHL 0,5 - 1 - 2 - 4
Links 35 - 35 - 60 - 60 dBeHL 0,5 - 1 - 2 - 4

Weiter wurde im Freifeld gemessen mit und ohne HG. Hat er echt super toll mitgemacht.

Nach und nach sind dann doch noch einige Fragen aufgetaucht, oder übriggeblieben.

Immer wieder stößt man auf die sog. Hörbahnreifung. Was genau bedeutet das? Hierzu findet man doch eher wiedersprüchliche Aussagen. Könnte es tatsächlich noch passieren, dass sich die Ohren bessern? Man findet nämlich nix dazu, dass sowas schon stattgefunden hat und Babys aufeinmal wieder hören konnten bzw. um einiges besser.
Weiter verstehe ich nicht, warum die tiefe Frequenz bei der BERA anfällig ist für Fehler, zumindest bei Babys? Falls ich das so richtig verstanden habe. Wie kann das sein? Wieso heisst es dann, dass die BERA so „genau“ ist.
Ist es plausibel dass die beiden Werte am rechten Ohr in den hohen Tönen getauscht haben?
Wie ergibt sich der Chirp-Wert? Aus welchen Werten? Wie muss ich mir das vorstellen?
Gibt es einen Simulator? Ich würde gerne nachempfinden, wie unser Sohn hört.

Viele Fragen.
Und ich freue mich total auf Antworten, da ich aktuell mit meinem Wissensdurst und meinem Verständnis nicht mehr weiter komme. Und eigentlich bin ich nur eine besorgte Mama, die alles wissen und alles richtig machen will.

Lieben Dank
Ohrenklempner
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Registriert: 20. Feb 2015, 13:08
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Re: Rat- und Wissen gesucht

#2

Beitrag von Ohrenklempner »

Hallo!

Mit der Hörbahnreifung ist gemeint, dass die Nervenbahnen und die Hörzentren im Gehirn lernen müssen, die empfangenen Schallsignale zu verarbeiten. Das geht verständlicherweise nur, wenn das Kind auch möglichst viel hört. Im Extremfall, also bei gehörlosen und unversorgten Kleinkindern, findet keine Hörbahnreifung statt und sie werden ab einem gewissen Alter nie mehr lernen können zu hören. Bei eurem Sohn ist es nicht so dramatisch, weil er ja durchaus hört, nur die Hörschwelle ist verschoben. Dass allein durch die Hörbahnreifung die Hörschwelle im Verlauf der Zeit auf einem normalen Level ankommt, kommt auf den genauen Ort der Schädigung an. Wenn immer schön stimuliert wird, kann sich das auch positiv auf die Hörschwelle auswirken. Es ist aber ebenso möglich, dass ich gar nichts ändert.

Warum die tiefen Töne gerade bei Babys ungenau sein sollen, kann ich mir nicht erklären.

Dass die beiden Werte für 2kHz und 4kHz verwechselt sind, sieht auf den ersten Blick plausibel aus. Da würde ich im Zweifel noch einmal nachmessen lassen.

Der "Chirp" ist ein Signalton, der innerhalb kürzester Zeit das ganze Spektrum von tief bis hoch wiedergibt. Der klingt wie ein "zwitschern" und heißt deshalb so. Da er das gesamte Frequenzspektrum abbildet, ist das Ergebnis meist ein Mittelwert der frequenzspezifischen Messung.

Es gibt in der Connexx-Software einen Hörverlust-Simulator. Euer Akustiker kann euch das bestimmt mal zeigen. ;)

Wie ich finde, handelt ihr mit eurem Sohn sehr gewissenhaft und vorbildlich! Das würde ich allen betroffenen Kindern wünschen. Besser kann man es nicht machen. Ihr habt meinen Respekt! :)
EMS
Beiträge: 9
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Re: Rat- und Wissen gesucht

#3

Beitrag von EMS »

Lieber Ohrenklempner,

vielen Dank für die Antwort und die netten Worte.

Wie genau bekommt man heraus, wo der Ort der Schwerhörigkeit liegt? Spielt das für die Versorgung überhaupt eine Rolle?
Frage mich das nur, da ich Angst habe, es könnte sich erneut verschlechtern. Und wie betrachtet man die Reaktionsschwelle bei Extrem-Frühchen? Nach Alter in Lebensmonaten oder nach korrigiertem Alter?

Lieben Dank und ein schönes Wochenende

Ems
Ohrenklempner
Beiträge: 8658
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Re: Rat- und Wissen gesucht

#4

Beitrag von Ohrenklempner »

Hallo,

man kann den Ort der Schwerhörigkeit gewissermaßen eingrenzen. Da BERA und OAEs gleichermaßen auffällig waren, kann man davon ausgehen, dass die Cochlea geschädigt ist. Ausschließen kann man natürlich nichts, und ich will mich nicht aus dem Fenster lehnen, aber eine erneute Verschlechterung ist bei einem sonst gesunden Kind eher nicht zu erwarten. ;)

Für die Art der Versorgung spielt weniger Ort der Schädigung eine Rolle, sondern das Ausmaß. Die allermeisten gering- bis hochgradigen Hörschädigungen können mit konventionellen Hörgeräten versorgt werden.
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