Hallo Johns,
danke für die Willkommensgrüße, auch an Dirk natürlich!
Folgend zu deinen Fragen:
1.
was muss ein Hörsystem können, um explizit DIESE Herausforderung meistern zu können?
Das ist, wie so oft, eine sehr individuelle Frage. Ich werde mal ein paar Stichpunkte anreißen. Bevor man zur Auswahl der Technik übergeht, müsste natürlich erstmal eine konkrete Messung und Anamnese des Status quo vorliegen. Gehen wir mal von der mittleren Schallleitungsfehlhörigkeit aus und (aufgrund der genannten Meetings) einem mitte 50-Jährigen, der noch berufstätig ist. In dem Fall würde ich dem Betroffenen mal keine Defizite bei der kognitiven Verarbeitung unterstellen, es sei denn, die Fehlhörigkeit ist lange unentdeckt gewesen. Also erstmal wichtig: Was kann mein Ohr/Kopf selbst noch leisten. Anschließend ist natürlich die spezielle Hörsituation wichtig. Wie groß ist der Raum, wieviele Personen treffen zusammen, gibt es andere Geräusche wie Musik, Gespräche anderer, hörbaren Verkehrslärm etc.
Grundlegend sollte das Hörsystem (und das tun prinzipiell alle) Sprache und Störlärm trennen. Im Regelfall geschieht das erstmal durch einen sogenannten "Wiener Filer". Der "spaltet" quasi beides wie an einer Weiche auf und bearbeitet es getrennt. Störgeräusche werden reduziert (meist justierbar von ca. -3dB bis -9db) und hebt Sprache an. Der Zweite Punkt ist das Richtmikrofon, welches den Sprecher fokussieren kann. Entweder in Blickrichtung oder adaptiv in Blickrichtung (Sprecher wird innerhalb des Richtwinkels "verfolgt"). Beides hat Vor- und Nachteile. Denken wir hier mal an eine/n Lehrer/in oder Taxifahrer/in. Mit dieser Funktion wäre rück- und seitwärtig kein verbessertes Sprachverstehen gegeben. Dennoch trennt das Hörsystem so räumlich Nutz- und Störschall. Das ganze gibt es auch in 360° Technik, sodass es wirklich rund um den Kopf funktioniert. Ein anderer wichtiger und meist unbeachteter Aspekt ist das
Ohrpassstück. Dies muss in der Dichtigkeit angepasst werden denn: Das Hörsystem kann nur bearbeiten, was dem Ohr fehlt. Alles, was naturell ankommt, bleibt auch naturell. Das ist auch gut so, heißt aber: Wenn ich einen Hörverlust von 40% habe, kann das Hörgeräte auch nur 40% bearbeiten. Last but not least möchte ich nochmal an "Hörtaktiken" erinnern. Wer Verständigungsprobleme hat, sollte sich nah an den Kommunikationspartner und fern der Störquellen platzieren. Ebenso in halligen Situationen. Auch wenn Hörgeräte auch Hall reduzieren können, ist dieser umso größer, je weiter man weg ist vom Direktschall. Du merkst, es ist sehr komplex und das war auch lange noch nicht alles
2.
welche Tests sind am geeignetsten um die DIESBEZÜGLICHE Verstehverbesserung objektiv messen zu können?
Der Alltag. Ob man mit den Geräten im "Labortest" 100% verstehst oder nur 80% kann einem ziemlich egal sein, solange es im Alltag funktioniert. Die Krankenkassen fordern eine Verbesserung von mindestens 15% in Ruhe und 10% im Störlärm (Kann variieren je nach Hörverlust), das ist aber eine Formalität. Prinzipiell wäre die sinnvollste und gängigste Messmethode, um deine Frage dennoch zu beantworten, der Freiburger Sprachtest mit 65dB Nutzschall frontal und 60dB Störschall rückwärtig. Kann auch rechts und links durchgeführt werden. Ebenso können Geräusche simuliert werden und man unterhält sich testweise mal mit seinem Akustiker derweil. Warum Freiburger Sprachtest? Weil einzeln gesprochene Worte keine Kombinationsmöglichkeit bieten und es hier um das reine verstehen geht. Ein Satztest wäre auch möglich, solange er sinnlose Wortkonstellationen enthält.
3.
was muss der HGA können, um die DIESBEZÜGLICH individuell geeignetste Konfiguration hinzubekommen?
Erstmal gründliche Vorarbeit leisten.
1. Hörtest machen, egal, ob schon einer vom HNO vorliegt oder nicht. Übrigens sollte er hier jeden Ton mindestens zwei Mal messen und bei Abweichung noch ein drittes Mal. Auch der Spratest gibt erste Hinweise auf spätere mögliche Verbesserungen mit den Hörsystemen.
2. Die Anamnese. Es ist wichtig zu wissen, was der Kunde subjektiv empfindet und wie sich die Hörsituationen objektiv konkret gestalten. Wie eben genannt sind es oft Kleinigkeiten wie die Sitzposition, Raumgröße usw.
3. Richtige Auswahl treffen. Mein letzter Stand ist, dass es rund 2500 Hörsysteme auf dem Markt gibt. Kein Akustiker kennt die alle auswendig, spezialisiert sich in der Regel aber auf ausgewählte Hersteller. Hier macht es durchaus Sinn, verschiedene Preislagen zu vergleichen. Der Akustiker sollte zwar ein "Optimum" empfehlen, aber auch einen Vergleich verschiedener Techniken zulassen.
4. Gute Anpassung. Wer nur den "Krankenschwesterknopf" drückt (Firstfit = Voreinstellung) kann Glück haben, aber keine Ahnung. Natürlich ist die Voreinstellung erstmal eine ERSTE Einstellung und lässt sicher in anschließenden Sitzungen Raum für Optimierung. Dennoch sollte man hier sowohl vom Handling, als auch vom Hören her kleine Anpassungen vornehmen. Eventuell verschiedene Hörprogramme, Lautstärkefunktion, Insitu-Messung (Hörtest über die Hörsysteme).
5. Aufklärung. Der Akustiker sollte jedem Kunden eine realistische Erwartungshaltung vermitteln. Was nicht geht, geht nicht. Was schrill klingt, klingt schrill. Was dauert, dauert. Das Gerät kann immer nur unterstützen, aber nie die Arbeit komplett übernehmen.
6. Austausch. Simpel aber logischerweise auch effektiv. Rückmeldungen sind erstmal die Basis jeder Nachjustierung. Natürlich auch Messungen und ggf. Auswertungen über Datalogging (Zeichnet Tragezeit, ggf. Hörsituationen und manuelle Änderungen auf -> Achtung: Datenschutzthema!). Dennoch muss der Akustiker auch ggf. auf Lautstärke pochen, da sonst kein oder nur ein geringer Hörerfolg zu erwarten ist.
Auch das ist sicher nicht alles, aber auch mal ein kurzer Überblick.
Du siehst, es ist sehr individuell und subjektiv. Spielt der Kopf nicht mehr mit, bringen die besten Hörsysteme nichts. Liegt der Hörverlust im Tieftonbereich ist die Anforderung auch wieder eine gänzlich andere als im Hochtonbereich (Normalfall). Manchen reicht die reine Verstärkung damit der Kopf wieder selektieren kann.
Ich hoffe als keiner Exkurs reicht dir das erstmal
LG
Alex