Ich möchte hier noch einige Ueberlegungen anstellen, sowohl aus medizinischer Sicht (einerseits aus einer eher kurzfristigen Perspektive heraus, andererseits auch versuchend, sehr langfristige Auswirkungen zu berücksichtigen), als auch aus einer etwas erweiterten Sicht. Die Gedankengänge, welche letztere berücksichtigen, habe ich als off-topic deklariert:
Auch mit einem Ohr kann man Nutzschall aus Schall mit Störgeräuschen heraus filtern. Was weitgehend weg fällt, ist das Richtungshören. Dieses kann (zusätzlich) genutzt werden, um Schallquellen zu orten, was das Herausfiltern von bestimmten Schallquellen erleichtern kann.
Wobei die folgende Ueberlegungen die Behauptung, dass mit zwei (versorgten) Ohren das Hören weniger ermüdend sei, etwas relativieren:
Ein digitales Hörgerät benötigt eine gewisse Zeit, um die Signale zu verarbeiten. Somit kommen sie beim versorgten Ohr später an. Dies muss das Hirn erkennen und berücksichtigen, was ebenfalls eine erhöhte Hirnleistung erfordert, zumal die Verzögerungen nicht konstant sind, sondern abhängig von akustischen Input, der Einstellung, dem gewählten Programm etc.
Ausserdem ergeben sich auch höhere Differenzen bezüglich Schalldruckpegel, was die Ortung auf Grund der betreffenden Begebenheit erschweren (es ist wiederum mehr Hirnleistung erforderlich) oder gar verunmöglichen könnte - diese dominiert aber die Berechnung der Hörbahnen, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt.
"Richtungshören bzw. das Hören mit beiden Ohren ist nicht nur für Störgeräusche wichtig, sondern auch für die Raumwahrnehmung."
Falls wissenschaftliche Belege für diese Behauptung (natürlich wird das Gehirn versuchen, alle Sinneseindrücke möglichst widerspruchsfrei zu deuten, und es können bei der Verarbeitung von Reizen aus der Umwelt auch "Synergie-Effekte eine Rolle spielen") existieren, könnten Links, welche zu den betreffenden Informationen führen, hilfreich sein.
Aber man kann aus den Schilderungen auch schliessen, dass früher Distanzen viel genauer eingeschätzt werden konnten (vielleicht, weil den "visuellen Reize höhere Beachtung geschenkt wurden und damit diese besser verarbeitet werden konnten"); es schien ja eine ziemlich genaue Vorstellung darüber vorhanden, wie sehr sich bzw. Gegenstände Menschen genähert werden konnte, ohne diese zu berühren (diese Fähigkeit könnte nachgelassen haben, da nun vermehrt auf akustische Inputs geachtet werden, was zur Folge haben könnte, dass grössere Sicherheitsabstände eingehalten werden müssen, weil nun Distanzen weniger gut eingeschätzt werden können):
"Nach der
CI-Implantation war auf einmal die fehlende Wahrnehmung des Platzes zwischen ihm und seinem Gegenüber bzw. Gegenständen ganz anders.
Stockkämpfe durfte er früher nicht machen, weil er mit dem Stock immer zwei Zentimeter vor dem Gesicht des anderen rumgefuchtelt hat.
Fahrradfahren ging lange nur unter Aufsicht, alleine möglichst nicht, weil er den Abstand zu Füßgängern auf dem Fußweg und zu Autos und anderen Radfahrern nicht abschätzen konnte.
Stell Dir ein wildes Kind vor, das immer im Abstand von 5 cm an den verschreckten Fußgängern vorbeirast...
Das alles hat sich geändert, seit er mit zwei Seiten hört."
Und dass hier ein kausaler Zusammenhang besteht (dass die Distanzen auf Grund der Operation nun schlechter eingeschätzt werden können (oder mehr Abstand gewahrt wird oder was auch immer), muss nicht sein (aus einem zeitlichen Zusammenhang lässt sich nicht automatisch ein kausaler folgern)).
"Kinder sind nicht durch Hörgeräte belastet, von denen sie profitieren."
Hier möchte ich vehement widersprechen. Gemäss aktueller Studien muss man davon ausgehen, dass Hörgeräte nicht nur im Innenohr, sondern in der gesamten Hörbahn und (vielleicht; der Schluss liegt nahe) sogar im Sprachzentrum Schaden anrichten können (hier letztlich durch die Auswirkungen von Apoptose).
Ob subjektiv keine Belastung empfunden wird, spielt hierbei keine Rolle.
Ist allerdings ausschliesslich eine Schallleitungskomponente zu versorgen und das Gerät richtig eingestellt, gelten die im vorhergehenden Abschnitt gemachten Aussagen nicht.
"Die Hörbahnen sollten früh stimuliert werden, damit sie sich gut entwickeln."
Falls eine gute Entwicklung das Ziel ist (das klingt zunächst als erstrebenswert; die Frage ist allerdings, wie hoch der Preis ist. Leider lässt sich dies nicht wirklich beantworten - jedenfalls haben medizinische Eingriffe in den meisten Fällen Nebenwirkungen zur Folge bzw. ist mit diesen zumindest zu rechnen - wobei natürlich auch das Unterlassen unerwünschte Auswirkungen zeitigen kann).
ABBC3_OFFTOPIC
Ich sehe es aber längst nicht so einseitig, dass die Wahrnehmung medizinisch indizierter Untersuchungen und Eingriffe ausschliesslich positive und deren Unterlassung ausschliesslich negative Auswirkungen haben könne. Ausserdem kann die Medizin die Folgen von Massnahmen und Eingriffen vielfach selbst nicht genau abschätzen oder muss nicht unbedingt ein Interesse daran haben, diese offen zu kommunizieren, insbesondere wenn sie negativ sind (und wer weiss schon, welche Folgen ein Eingriff in fünfzig Jahren zeitigen wird und welche nicht; es gibt nur wenige Langzeitstudien. Darüber hinaus muss man das dann auch "aus dem Kontext heraus beurteilen, welcher dann aktuell sein wird" - was eigentlich so gut wie unmöglich ist)).
Man weiss also sehr wenig über die (Spät-) Folgen, welche durch gewisse Untersuchungen und Eingriffe hervor gerufen werden können (Und noch weniger, wie sich diese unter den dann herrschenden Bedingungen auswirken werden).
In Bezug auf das Gehör gilt (meiner Ansicht nach), dass es "nichts vergisst". Eine ausserordentliche Lärmbelastung, welche zunächst (scheinbar ohne Schaden) überstanden wurde, kann mitunter einige Jahrzehnte später zu einer Ertaubung führen (oder massgeblich dazu beitragen).
Klar, wenn ein grosser (oder sogar eher kleiner) Hörverlust in der frühen Kindheit besteht und nicht behandelt wird, kann dies auch Folgen haben. Welche nun letztlich gravierender sind, ist insbesondere langfristig gesehen schwer bis überhaupt nicht zu beurteilen, und deren Bedeutung schon gar nicht. Ich jedenfalls würde nicht behaupten, dass eine Versorgung von Hörverlust in jedem Falle immer mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen würde; dies aus den unterschiedlichsten Gründen (ich möchte nur die eine oder andere Möglichkeit kurz skizzieren):
Man weiss überhaupt nicht, wie die Situation in einigen Jahrzehnten sein wird. Vielleicht hat bis dann ein massiver Leistungsabbau in der medizinischen Versorgung statt gefunden, und eine Nachbetreuung kann nicht mehr gewährleistet werden (so dass bspw. CIs nicht mehr betrieben werden können). Oder die allgemeine Versorgungslage ist dermassen schlecht, dass (nur schon) keine Batterien mehr erhältlich sind (auf Grund von Katastrophen, Kriegen, einer Weiterführung des Kapitalismus wie bisher etc. etc.)...wenn man jetzt daran denkt, dass (bspw. auch auf Grund der oben geschilderten möglichen Nebenwirkungen) das bis anhin gesunde Ohr ebenfalls versorgt werden muss...
Die Auswirkungen medizinischer Eingriffe müssen also längst nicht immer so sein, wie man sie im Moment einschätzt (sofern das überhaupt glaubwürdig geschieht) - denn wie diese in ein paar Jahrzehnten aussehen werden (und was dies in Anbetracht der dann herrschenden Versorgungslage bedeuten wird), kann man schlicht nicht voraussehen.
Klar, aus einer eher kurzfristigen und ausschliesslich medizinischen Sicht macht es oftmals Sinn, Therapien gemäss der vorliegenden Indikationen durchzuführen. Aus einer übergeordneten Perspektive, welche nicht nur medizinische Aspekte (und auch diese nur in Bezug auf deren kurzfristige Auswirkungen (ein "grösserer Zeithorizont" wird in der Regel bei Empfehlungen ausgeblendet, vielfach jedoch auch Informationen, welche gegen einen Eingriff, eine Therapie sprechen (kann aus einem Informationsdefizit heraus geschehen oder/und aber auch aus wirtschaflichen Interessen heraus) berücksichtigt, wird diese (medizinische Sicht) relativiert bzw. (für mich jedenfalls) offensichtlich, dass sie keinen Anspruch auf absolute Gültigkeit haben kann - selbst wenn sie noch so präzise Aussagen (insbesondere in Bezug auf die Langzeitwirkung von Therapien und Eingriffen etc.) treffen könnte (was sie aber offensichtlich nicht kann) und auch die Diagnosestellungen absolut zuverlässig erfolgen würden (was aber überhaupt nicht immer der Fall ist).
Darüber hinaus gibt es auch nicht-medizinische Aspekte, welche den medizinischen übergeordnet sind*. Auf diese möchte ich hier nicht näher eingehen, insbesondere, da ich hier bemüht bin, die medizinische Sicht möglichst gut darzulegen.
*) ich möchte nur kurz einen einzelnen Aspekt andeuten:
Man kann sich überlegen, ob man versuchen will, zu erreichen, dass jeder normal hören kann*. Man kann aber auch (bspw. auch gleichzeitig) das Ziel verfolgen, zu erreichen, dass es normal ist, wenn jemand nicht normal hört (und das Verhalten (im Umgang mit dieser Beeinträchtigung) auf dieser Tatsache aufbauen)
*) was eben nicht möglich ist und einem ziemlichen Murks gleich kommt insbesondere auch dann, wenn man sich dies nicht eigestehen will
Griss fast-foot