Betreff: Re: WICHTIGE INFO VIEL SPAß BEIM SCHAUEN
Zitat von Timtomm:
(...)Aber da ist ja eben nun auch noch das Kind. Ich habe teilweise so erschreckende Formen der Integration gesehen. Das Kind hat sich einfach nicht wohl gefühlt innerhalb der Klasse. Immer musste es nachfragen, auf sich aufmerksam machen und kämpfen. Und die anderen kinder, die hatten es so leicht. Die durften einfach Kinder sein. Das muss man auch mal sagen. Du kennst doch sicherlich das "Little-fish-big-pond" Konzept. Das kommt bei Florians Argumentation gar nicht zum tragen.
(...)
Grüße!
Du wirst staunen, aber mir kommt die von dir geschilderte Situation total gut bekannt vor. Es war die Zeit vor dem CI, die Zeit, wo alle Kinder heftig pubertierten. Es gab auch Streit mit Klassenkameraden, es gab einige doofe Zicken, die mich wegen meiner Hörbehinderung hänselten. Ja, auch ich musste in der Schule durchkämpfen. Bin ich deswegen ein psychisches Wrack?
Die durften einfach Kinder sein? Ach? Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Ich habe dies erst später begriffen. Ich war damals so egoistisch und unbequem, weil ich mir das, was akustisch entging, holen musste. So entging mir, dass auch die anderen Probleme haben. Dass ich nicht der einzige bin. Ich war gezwungenermaßen so egoistisch, dass ich auch schon mal den Lehrer daran erinnerte, die Hausaufgaben zu besprechen, weil das für mich enorm wichtig war. Denn so konnte ich u.a. zeigen, wozu ich in der Lage bin etc. Ja, ich dachte eine Zeit lang so, dass ich das Recht dazu habe, mir all das zu holen, was ich brauche. Ich machte mich so gewaltig unbeliebt, ohne es zu merken. Ich dachte immer, die anderen sind schuld. Ich hätte nie gedacht, dass ich selbst vieles hochgeschaukelt habe.
Dann kam das CI und damit ein Wendepunkt. Daher weiß ich auch, warum es so wichtig ist, gut zu hören. Ich wurde lockerer, war nicht mehr so verkrampft, fühlte mich dazugehörig. Ich habe das schon oft beschrieben, man kann es in diverser Literatur nachlesen. Meine Abirede habe ich auch noch irgendwo, da geht klar hervor, dass es nicht immer einfach war und ich schlug Verbesserungen vor.
Wie konnte ich dies überhaupt schaffen, wie konnte ich die Zeit bis zum Abi überhaupt überstehen?
- Ich hatte engagierte Eltern zu Hause, die zu mir standen und die mit den Lehrern sprechen, etc.
- mein Durchhaltevermögen, meine Energie: In dieser wilden Zeit, wo alle wie verrückt pubertierten, wie oben beschrieben, war auch ein Schulwechsel erwogen worden, aber ich sagte, ich schaffe das.
- Prof. Löwe als Mentor: Er nahm mich als kleiner Junge immer wieder auf seine Seminare ("Pädagogische Hilfen für hörgeschädigte Kinder in Regelschulen", Armin Löwe, Edition Schindele, ISBN 3-89149-187-5) mit, um anhand meines Beispiels zu zeigen, dass es nicht unmöglich ist.
- mein Bruder, der auf ein normales Gymnasium mit großen Klassen ging: --> gesunder Ehrgeiz

- Lehrer, die sich auf meine Bedürfnisse einstellten.
- Mein Vater war im Biounterricht da und hat über Hörschädigungen gesprochen, damit die Kinder überhaupt eine Ahnung bekamen, was es bedeutet, nicht gut zu hören.
- Prüfungszeitverlängerung
- Diktate wurden für mich ein zweites Mal abgehalten, um sicher zu gehen, dass es kein akustisches Problem war. Manchmal wurde das französische Wort in Lautschrift an die Tafel geschrieben. und wenn ich es dann immer noch nicht verstand, konnte man davon ausgehen, ich kannte das Wort einfach nicht
- anstatt im englischen Diktate abzuhalten, wurden Vokabeltests und Compositionen gemacht. Und zwar so, dass die Kinder nicht mitbekamen, dass es wegen mir so ist.
- usw. usf.
ich bin daran gewachsen. Und nein, es war kein Größenwahn. Es ist mein Weg. Ging auf die Uni. Ohne Dolmetscher. Und merkte, es liegt an einem selbst. Es liegt an dir selbst, wie du durchkommst. Diese Einsicht hätte ich ohne CI wahrscheinlich nicht bekommen. Nun stehe ich vor dem Staatsexamen.
Ja, ich sehe es so, es wird den Kindern zu wenig zugetraut. In einem Kind steckt oft mehr drin, als man es glaubt. Da hat es so eine tolle Lautsprachkompetenz und dann kann es diese Chance der Regelbeschulung nicht nutzen? Aus Angst vor der oben beschriebenen Situation, dass das eigene Kind dem nicht gewachsen sein könnte?
Der Weg war nicht einfach, aber ich bin daran gewachsen. Ich muss zugeben, mein Organisationstalent ist in dieser Zeit entstanden. Ebenso meine Akribie (im Kunstsaal musste angeblich an meinem Arbeitsplatz alles an seinem Platz liegen, bevor ich loslegen konnte), nur um einiges zu nennen. Das CI ermöglichte es mir erst, dass ich diese Chancen nutzen und ausbauen konnte. Ohne CI könnte ich Patienten nicht auskultieren etc.
Die Kinder von heute haben viel bessere Ausgangsbedingungen wie ich. Sie könnten, wenn man es an uns misst, so wie Markus zurecht kommen. Ich bin darüber sehr froh, denn ich weiß von mir selbst, wie viel Nachholbedarf ich nach der CI-Versorgung hatte.
Gut zu hören, ist wohl das Wichtigste, um an den Menschen zu kommen. Heute nehme ich es wahr, wenn es einem nicht gut geht. Wenn er bedrückt, traurig ist usw. usf. Ich war früher so in mich eingeigelt, dass ich den anderen Menschen gar nicht so richtig wahrnahm, weil ich selbst mit meinen Problemen zu kämpfen hatte.
Für mich ist es das Wichtigste, dass ein Kind die Chance bekommt, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Sich selbständig ohne fremde Hilfen, wie alle anderen Menschen auch, einbringen zu können. Daran zu wachsen. usw. Eine Hörschädigung ist in meinen Augen bei erfolgter Rehabilitation keine Behinderung mehr, ich fühle mich nicht behindert, höchstens eingeschränkt. Doch jeder Mensch hat Einschränkungen. Was ich nicht so gut kann, bekomme ich von einem anderen. Was der andere nicht so gut kann, bekommt er von mir.
Gute Nacht
Bds. hochgradig an Taubheit grenzend schwerhörig(≤120dB).Diagn. d. Hörschädigung:15mon.Hörhilfenversorgung bds.:16mon.Lautsprachlich erzogen.Seit 16.LJ auf dem linken Ohr.In Ausbildung zum Arzt.
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mal editiert, das letzte Mal am 05.10.2008, 01:25 von Florian Pietsch.