Betreff: neulich beim Hörakustiker...
Hörgeräteversorgung im 21ten Jahrhundert (Achtung: kann Spuren von Ironie enthalten):
Hörbehinderter (HB) betritt das Ladengeschäft einer Hörakustikerkette (HA) und fragt:
"ich hatte kürzlich meinen 60ten, und auf der Geburtstagsfeier habe ich wieder fast nix verstanden; Nicht einmal meine direkt neben mir sitzende Ehefrau, geschweige denn Kinder und Enkel oder Geburtstagsredner etc und pp. Zwar trage ich schon seit 10 Jahren Hörgeräte, aber "Verstehgeräte" geh´n anders. Ich verstehe ohne die Dinger "wattebausch-schlecht" und MIT den Dingern "glasklar-schlecht", immer dann, wenn es in halliger Umgebung, Wind, Umgebungsgeräusche oder in größeren Gruppen geht. Können Sie mir da helfen?"
HA: "wir helfen sehr gern, wo sind Sie denn krankenversichert?, darf ich kurz Ihre Gesundheitskarte "einlesen"?
HB: "ich bin Beitragszahler der Versichertengemeinschaft der TK, bei der auch dauernd die Beiträge steigen; hier ist meine Karte".
HA: "vielen Dank" - zieht die Karte durch´s Lesegerät - "da hätte ich dann in 4 Wochen einen Erstberatungstermin für Sie. Passt Ihnen der xyz um pp Uhr?"
HB: (leicht verdattert wegen der langen Wartezeit) "ok, wieviel Zeit soll ich dafür einplanen"?
HA: "2 Stunden sollten es schon sein, für unsere ausgiebige KundenErstberatung"
Der ersehnte Termin nach einem Monat:
Es wird ein Tonaudiogramm gefertigt und ein Sprachtest auf der Basis der medizinischen und technischen Erkenntnis von 1953 und dann wird festgestellt:
HA: "sie hören Töne altersentsprechend: so zwischen 25 und 45 dB brauchen Sie mehr "Dampf" als wo sie Kind waren, bei der Sprache verstehen sie in der Norm(al)-lautstärke von 65 dB noch zwischen 70 und 80%, aber bei etwas "Zugabe" auf 80 dB werden es schon 95%; Nur im Störgeräusch, da verstehen Sie tatsächlich von 20 Worten gerade mal 4 Worte".
HB: "ok, und wie können Sie mir da helfen"?
HA: "da gehen wir davon aus, dass wir Ihnen eine mindestens 50%ige Verstehverbesserung - schon mit Basisgeräten - in Aussicht stellen können".
HB: "das ist ja grandios! Sie stellen mir in Aussicht, dass ich - von 10 gesprochenen Worten - OHNE Ihre Bemühungen etwa 8 Worte NICHT verstehe, und mit dem FinanzEinsatz meiner Versichertengemeinschaft im Gegenwert eines iPhones JE OHR, verstehe ich danach "nur" 7 Worte NICHT? Wie sähe es denn bei Zuzahlungsgeräten aus?"
HA: "na ja, höhere Technologiestufen bieten natürlich auch höhere Fähigkeiten, wie z.B. 10 kHz HD, bis zu 48 Bänder, adaptive noise guard, adaptive machine guard, windshield, binaurale redundanz, sound smoothing, speech focus, sound point, PinnaEffekt, true ear, auto experiance manager, voice IQ und speech ID, sowie acouty directionality, sound conductor, natural sound balance, dynamic noise reduction und dynamic noise directionality und natürlich nicht zu vergessen: dynamic speech processing, speech cue priority und softlevel noise reduction in Verbindung mit dem feature smart speach, smart tone".
HB: "boa - toll, und damit erreiche ich in dem mit mir absolvierten Testverfahren auf dem technischen Stand der Mitte des letzten Jahrhunderts bessere Verstehwerte als OHNE den ganzen teuren Aufwand?"
HA: "nein, weil das mit DIESEM Testverfahren gar NICHT exakt prüfbar ist".
HB: "gibt es denn keine aktuelleren Testverfahren"?
HA: "doch, aber die bieten wir sicherheitshalber nicht an".
HB: "was heißt hier "sicherheitshalber"?
HA: "na ja, wir wollen ja nicht gegen § 5, Punkt 2, der Anlage 1 der Vertragsvereinbarung mit Ihrer Krankenkasse verstoßen".
HB: "was steht denn in diesem Paragrafen"?
HA: "Wortlaut: "...werden mehrere Hörsysteme vergleichend angeboten, müssen die Messergebnisse der aufzahlungsfreien Versorgung und der Versorgung mit Mehrkosten im Störschall in derselben räumlichen Umgebung (Anpassraum) ein weitgehend gleichwertiges Sprachverständnis erzielen"
HB: "das heißt, weil Sie nicht in die Gefahr geraten wollen, im Einzelfall höherpreisigere Geräte als die Basisgeräte aufzahlungsfrei herausgeben zu müssen, bieten sie die mit den Kassen vereinbarten Prüfmethodenalternativen, die fast 50 Jahre aktueller sind - wie den in §5 Satz 1b der Anlage 1 alternativ genannten Oldenburger oder Göttinger Satztest - gar nicht erst an und nehmen damit bewusst den Vertragsverstoß gegen § 2 in dieser Anlage 1 in Kauf, der "aktuellen medizinischen und technischen Stand" explizit vorschreibt?.
HA: "dazu äußere ich mich nicht, und im Übrigen: wenn Sie kein Vertrauen haben, dann nützt auch das beste Hörsystem nichts".
HB: "ok, dann hätte ich jetzt gern erst einmal ein für mich individuell geeignetes aufpreisfreies Gerät zur Ausprobe".
HA: "das habe ich nicht da, das muss ich erst bestellen"
HB: "wie, jetzt, nach § 3 dieser Anlage 1 haben Sie doch vertraglich vereinbart:
§ 3 Leistungsumfang:
"[...] hält der Mitgliedsbetrieb ein ausreichendes Sortiment von aufzahlungsfreien Angeboten zum bestmöglichen Ausgleich des Hörverlustes vor"
HA: "das tun wir ja auch - in der Zentrale"; im Übrigen müssen Sie ja ohnehin vorher erst zum HalsNasenOhrenArzt".
HB: "nach § 7 der von Ihnen akzeptierten Vertragsvereinbarung MUSS ich das genau NICHT.
Wortlaut: "Für die Folgeversorgung nach Ablauf des sechsjährigen Versorgungszeitraumes ist die Vorlage einer neuen vertragsärztlichen Verordnung nicht erforderlich.
HA: "doch, UNSER Unternehmen fordert das".
HB: "warum"?
HA: "erhöht den psychologischen Effekt"
HB: "welchen"?
HA: "Weißkittel vermitteln deutlich geeigneter Placebowirkungen als WIR es je könnten".
HB: "ok, danke, war nett Ihre Zunft kennen gelernt zu haben - Guten Tag"
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mal editiert, das letzte Mal am 03.02.2018, 15:49 von Gewichtl.