Dann noch ergänzend meine Sicht zu weiteren Punkten (wenn man vorwiegend einfache Antworten wünscht auf komplexe Sachverhalte (und entsprechende Abstriche im Verständnis in Kauf nimmt (man kann etwas verstehen, weil es einfach erklärt wird - nur lautet die Frage, wie viel "dieses etwas" mit der Realität zu tun hat (das Problem besteht grundsätzlich), ab hier nicht mehr weiter lesen):
Rondomat hat geschrieben:Jetzt kommt das, aus welchen Gründen auch immer das eintrat oder was das verursacht hat, nachlassende Gehör ins Spiel.
Richtig. Und zum Gehör gehört auch ein Teil des Gehirns.
Rondomat hat geschrieben:Du gehst durch den Wald, die Blätter bewegen sich im Wind, aber Du hörst sie nicht mehr so richtig, der Bach nebenan fliesst munter über die Steine, aber Du hörst das Rauschen und Tropfen nicht mehr, im Strassenverkehr wird auch alles zunehmend leiser...
Wie gesagt, kann dies auch an den retrocochleären Hörbahnen, welche sich auch in verschiedenen Hirnarealan befinden, liegen.
Rondomat hat geschrieben:1. Ein gesundes Gehör hat einen bestimmten Frequenzumfang, den es hören kann. Das ist der Umfang zwischen den tiefen und den hohen Tönen. Dazu kommt noch die Lautstärke. Dies zusammen wird also von den Ohren erfasst, über die Sinneszellen aufgenommen und an das Gehirn zum Verarbeiten transportiert. Das nenne ich jetzt mal "Soll-Hören". Dazwischen passieren noch spannende Dinge mit dem Schall auf dem Weg ins Innenohr, die aber hier zu weit führen.
Es passiert noch viel mehr, und wenn das nicht berücksichtigt wird, dann klammert man eben sehr Vieles aus, was aber genau so wichtig wäre (wie Du selbst (sinngemäss) sagst, ist am Hören (auch; nicht ausschliesslich) das Hirn beteiligt - aber auch dieses kann geschädigt worden sein oder werden - auch durch das Hören selbst (zu hohe Lärmdosen)).
Rondomat hat geschrieben:Und dann kommt Dein Akustiker ins Spiel, denn der weiss, wie "Soll-Hören" überwiegend sein soll.
Ich denke, es gibt kein "Soll-Hören". Man könnte höchstens bestimmte Ziele definieren, bspw. das bestmögliche Sprachverstehen zu erreichen mit der verfügbaren Technik. Diese Ziele sind jedoch, auch wenn sie einen gewissen Sinn ergeben mögen, willkürlich. Ausserdem wird nur ein sehr kurzfristiger Horizont berücksichtigt - es interessiert nämlich ziemlich wenig, wie auf lange Sicht das bestmögliche Sprachverstehen erzielt und vor allen Dingen möglichst erhalten werden kann.
Rondomat hat geschrieben:3. Der Akustiker stützt sich dabei nicht nur auf seine technischen Werte, die er mit seinen Messungen erlangt, sondern er ist vor allem auch darauf angewiesen, wie Du Deine Höreindrücke beschreibst. Notiere Dir, was Dir aufffällt. Jede Kleinigkeit ist wichtig.
Na ja, ich habe gedacht, es komme dann der Spruch mit der Hörentwöhnung, wenn etwas als zu laut empfunden werde
Also, was gilt nun? "Hörentwöhnung" ("es kommt Ihnen nur so laut vor; sie haben ja lange nicht mehr richtig gehört") oder, dass er auf die Höreindrücke angewiesen ist und das Hörgerät entsprechend anpasst?
Nun, der Akustiker kann gar nicht wirklich wissen, ob etwas zu laut ist für den Hörgeräteträger (so lange er keine Lautheitsskalierung durchgeführt hat, erst recht nicht, aber auch sonst wäre es schwierig); das muss ja der Kunde beurteilen, und der Akustiker hat das Hörgerät danach ein zu stellen.
Das Argument mit der Hörentwöhnung mag eine gewisser Berechtigung haben, genau so, wie es auch völlig deplatziert sein kann.
Das sehe ich als grundsätzliche Problematik an.
Rondomat hat geschrieben:Das Blöde an der ganzen Sache ist, dass Dein Gehirn bei manchen Dingen, die es nicht mehr von den Ohren "geliefert" bekommt, davon ausgeht, es sich nicht mehr merken zu müssen. Es wird also drei Schubladen tiefer gelegt und harrt da auf seine Wiedererweckung - mit dem Hörgerät. Und das ist dann wieder neu im Hören, vielleicht etwas zu laut und ungewohnt, aber das Gespeicherte wandert mit der Zeit so langsam Schublade um Schublade wieder nach oben. Voila - die Regentropfen, das Rascheln der Blätter ist wieder da und Gabi auch.
Das Problem bei dieser Darstellung sehe ich darin, dass sich die für das Hören zuständigen Areale im Hirn seit Auftreten des Hörverslusts längst "neu organisiert haben" (dies tun sie eh laufend, wie Du ja richtig geschrieben hast). Sie haben sich also "an den (bspw. durch ein weniger sensibles Innenohr) veränderten Input angepasst"*. Eine bestimmte Stimme "weist nun (ganz allgemein formuliert) andere spezifische Merkmale auf", welche zum Erkennen (der Wörter, aber auch der Stimme dienen). Da (bspw. auf Grund der geringeren Frequenzselektivität des Innenohres) noch weitere Informationen, welche (bzw. deren Verarbeitung) eine höhere Komplexität aufweisen, heran gezogen werden müssen etc., wird die Aufgabe der Klassifizierung (bspw. das Erkennen von Stimmen oder der gesprochenen Wörter) anspruchsvoller, und es werden komplexere Neuronale Netze benötigt, um diese Aufgabe bewältigen zu können. Es findet ein Ausbau der entsprechenden Strukturen statt - das Hirn passt sich an die neue Situation an und erbringt hierzu mitunter noch viel höhere Leistungen als bisher, was die Kapazitäten für andere Bereiche einschränken kann (bspw. den INHALT eines gesprochenen Textes dem Sinn nach verstehen).
Eine Hörgeräteversorgung kann helfen, die für das (akustische) Verstehen von Sprache erforderliche Hirnleistung zu reduzieren, womit für andere Aktivitäten höhere Kapazitäten zur Verfügung stehen können.
Es dürfte jedoch in den wenigsten Fällen möglich sein, ein Hören, welches dem "früheren" sehr nahe kommt, zu erreichen - es findet also auch mit Hörgeräten "ein anderes Hören statt" (zumal ja auch Informationen vom Hirn ans Innenohr zurück fliessen und dessen Funtkionen steuern, was bei häufig an zu treffenden Schäden an den OHCs nur noch eingeschränkt möglich ist - auch hier kann ein Hörgerät nichts zur Verbesserung der Situation beitragen) etc.).
Man muss allerdings aufpassen, dass durch die kurzfristige Erreichung eines besseren Sprachverstehens dieses auf lange Sicht nicht zu sehr gefährdet wird...
Die "Schubladisierung" (Klassifizierung), welche Du beschrieben hast, kann (auch) durch andere Einwirkungen stark eingeschränkt werden, z.B. durch hohe Lärmdosen, Hirnschädigungen bzw. degenerative Prozesse im Hirn allgemein etc. etc.
*) dies auf Grund der Neuroplastizität des Gehirns