Unterricht in der Regelschule

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Esther1
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Unterricht in der Regelschule

#1

Beitrag von Esther1 »

Ich unterrichte seit diesem Sommer in einer ersten Klasse Deutsch und Kunst. Wir haben ein schwerhöriges Mädchen in unserer Klasse. Wir arbeiten mit einer FM- Anlage, was einigermaßen gut läuft. Ein großes Problem ist aber, dass sie alle anderen SchülerInnen gar nicht hören kann.
Hat jemand Tipps (Literatur/ Links) für mich über Methoden im Unterricht mit einem hörgeschädigten Kind?Sowohl über die Integration als auch über die Praxis im Unterricht weiß ich sehr wenig.
Ich freue mich über eure Tipps!
Gruß, Esther
jahill
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Re: Unterricht in der Regelschule

#2

Beitrag von jahill »

hallo,

bei den meisten hörgeräten mit einer fm-anlage ist es möglich sowohl über das fm-micro als auch über das hörgeräte-micro zu hören, dann hört deine schülerin beides den lehrer und die mitschüler. das läst sich bei manchen anlagen einfach umschalten.
Maike
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Re: Unterricht in der Regelschule

#3

Beitrag von Maike »

Hallo Esther,

wo wohnst Du? Denn es gibt Schulen für Hörgeschädigte, die einen Dienst
anbieten, in Bayern heißt dieser Dienst z.B. "Mobiler Dienst" und das ist
ein Dienst, bei dem regelmäßig PädagogInnen der Schule für Hörgeschädigte
regelschulbeschulte Kinder und deren Eltern besuchen und ggf Probleme
besprechen. Außerdem sprechen diese Pädagogen mit den betroffenen
Lehrkräften, klären sie über die individuelle Hörschädigung des Kindes auf
und geben Tipps, wie der Unterricht "schwerhörigenfreundlich" gestaltet
werden kann etc. - zudem sind diese Pädagogen auch bereit, mal eine oder
auch mehrere Stunden im Unterricht zu übernehmen und hierbei die
MitschülerInnen über die Hörbehinderung kindgerecht zu
informieren/aufzuklären.

Du brauchst "das Rad" nicht neu zu erfinden, Du kannst Unterstützung von
anderen bekommen und von deren Wissen profitieren. Es gibt auch
Aufklärungsmappen für Regelschulen. Evtl. gibt es sogar einen Austausch zu
anderen Lehrkräften, die wie Du auch schwerhörige/gehörlose oder CI-Kinder
unterrichten - und das kann Dich auch ganz schön weiter bringen.

Liebe Grüße - und viel Freude&Erfolg beim Unterrichten!
Maike
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Maike
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Re: Unterricht in der Regelschule

#4

Beitrag von Maike »

P.S.: Diese Pädagogen schauen sich z.B. auch die Mikroportanlage an udn
beraten, was es zu tun gibt...
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Maike
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Re: Unterricht in der Regelschule

#5

Beitrag von Maike »

ich nochmal: Wenn Du Deutsch&Kunst in der 1. Klasse unterrichtest: Bist Du
die Klassenlehrerin/der Klassenlehrer? Wenn nicht: Welche Informationen hat
der Klassenleiter über das Kind? Welche Hilfen? - Hilfreich wäre hier a) ein
Kontakt zu einem Mobilen Dienst und b) eine Aufklärung aller das Kind
unterrichtenden LehrerInnen über die Hörschädigung und deren Folgen wie auch
praktischen Umsetzungen im Unterricht.

Noch was: Optimal wäre folgende FM-Lösung: Wenn der Lehrer spricht, werden
sämtliche Umgebungsgeräusche ausgeschaltet (= denn in einer 1. Klasse können
sie sehr laut sein) - wenn der Lehrer nicht spricht, schaltet die FM-Anlage
des Kindes automatisch um auf die Umgebungsgeräusche, so dass das Kind dann
auch die Mitschüler hören kann. Es gibt FM-Anlagen, die solcherlei bieten...

Grüßle von Maike
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Maike
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Re: Unterricht in der Regelschule

#6

Beitrag von Maike »

ääähem, ich bin schon wieder da... ;) Was auch noch sehr wichtig zu wissen
wäre: Haben das Kind und seine Eltern Kontakte zu anderen schwerhörigen
Kindern und deren Eltern, sowohl zu regelschulbeschulten Kindern als auch zu
solchen, die die Schwerhörigenschule besuchen?

Maike
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Sandra

Re: Unterricht in der Regelschule

#7

Beitrag von Sandra »

Hallo Esther,

falls Du aus Hessen kommen solltest - hier gibt es auch so eine Art "Mobiler Dienst" wie Maike schon beschrieb. Hier in Nordhessen und meines Wissen gibt dies auch in Frankfurter Raum, fahren einige Lehrern (etwa 2x die Woche) von Hörgeschädigte Schule zu Hörgeschädigte Kinder in denen diese zur Schule gehen! Falls Du interesse hast, kann ich zu den Lehrer zwecks Erfahrungsaustausch und Infos Kontakt herstellen!
Mail mich mal diesbzgl. an!

Grüssle Sandra
[size=small]

[Editiert von Sandra am: Montag, September 29, 2003 @ 01:27 PM][/size]
Esther1
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Re: Unterricht in der Regelschule

#8

Beitrag von Esther1 »

Das ist ja nett, dass ich so viele Antworten und Informationen bekommen habe!
Ja, ich komme aus Hessen. Eigentlich haben wir Kontakt zu einer Hörgeschädigtenschule. Ein Lehrer dieser Schule war auch bereits bei dem Mädchen zu Hause. Eigentlich wollte er zu uns kommen und in meinem Unterricht hospitieren. Aber er ist jetzt bis auf weiteres krank.
Die FM- Anlage soll über die Ferien erneuert werden. Denn die Anlage, die das Mädchen jetzt hat, ist nicht so geeignet.
Ja, sie kann es selbst umstellen, ob sie mich hört oder aber alles verstärkt. Wenn sie es aber auf die gesamte Klasse umstellt, versteht sie sehr schlecht.
Bisher weurde das Thema "Schwerhörigkeit" in unserer Klasse noch nicht thematisiert, aber mir scheint es so, als sähen es alle Kinder ganz normal. Es gibt keine Probleme diesbezüglich. (Das heißt aber nicht, dass sie nicht noch kommen können.) Das Mädchen ist sehr beliebt, ist auch sehr weit im Lesen und Schreiben.
Aber heute Morgen hatten wir wieder einen Sitzkreis, in dem vom Wochenende erzählt wurde. Sie hat die Kinder nicht verstanden. Soll ich da die Anlage weiterreichen? Ist das für sie nicht unangenehm? Soll ich sie in die Mitte legen oder jeden Satz der Kinder wiederholen? Das sind so die Situationen, mit denen ich Schwierigkeiten habe.
Wir müssen morgen unbedingt nochmal in dieser Hörgeschädigten Schule anrufen, um einen Termin mit einem Lehrer o. ä. zu vereinbaren.
Ich weiß auch nicht, ob die neue FM- Anlage diese automatische Umschaltung kann. Teilweise sind wir zu zweit in der Klasse (ich bin Referendarin!). Mal gehe ich zu dem Mädchen, mal meine Mentorin. Spreche ich ohne Anlage mit ihr, versteht sie NICHTS!Das tut mir so leid in dem Moment!
Ein Erfahrungsaustausch mit anderen Lehrern wäre generell gut. Ich versuche aber vorher nochmal den Kontakt zu dem Lehrer von der Hörgeschädiften-Schule herzustellen. Er wollte uns ja eigentlich betreuen. Vielleicht müssen wir nur hinterher sein.
Liebe Grüße:)
rhae
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Re: Unterricht in der Regelschule

#9

Beitrag von rhae »

Hallo Esther :)

über FM-Anlagen haben wir vor einiger Zeit schon einmal etwas Material zusammengetragen, siehe die Themen FM-Anlage, Phonak Micro-Link und FM-Anlage Sennheiser 2013, vielleicht kannst Du Dich da etwas über die Gerätefunktionen informieren.

An der Raumakustik werdet Ihr wohl schwer etwas ändern können, vielleicht aber auch doch, z.B. indem Ihr die Wände mit Stoffen behängt (im Kunstunterricht bemalt ;) ), vielleicht könnt Ihr sogar einen Teppich organisieren, auf dem es sich ohne Schuhe auch gut im Kreis erzählen lässt. Wenn es dann noch klappt das allgemeine "Hintergrundgemurmle" einzustellen, hat Euer schwerhöriges Kind eine gute Chance mit seinen Hörgeräten das Meiste zu verstehen.

Viele Grüße Ralph :computer:
Ulli
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Re: Unterricht in der Regelschule

#10

Beitrag von Ulli »

Hallo Esther,

als Mutter eines schwerhörigen Kindes freut es mich sehr, zu lesen, dass sich Lehrer einer Regelschule Gedanken machen, wie sie optimal ein sh Kind betreuen und auch dafür Zeit investieren. Bisher habe ich überwiegend Horrormeldungen gehört, dass es den Lehrern sehr lästig erscheint, Kinder mit Behinderungen zu unterrichten und sie in die Klasse zu integrieren.
Endlich mal ein Lichtblick, der mich hoffen lässt...
Liebe Grüße
Ulli

Achja und vielleicht noch ein Tipp zu deinen Fragen - suche doch mal ein Gespräch mit den Eltern, sie werden dir sicherlich alle deine Fragen beantworten können, schließlich kennen sie ihr Kind am besten und setzen sich schon seit ein paar Jahren mit dem Thema auseinander.
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.
Gudrun
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Re: Unterricht in der Regelschule

#11

Beitrag von Gudrun »

Ha, das ist mein Steckenpferd (wie jeder, der mich kennt, weiß :D )!

Hallo Esther, ich bin seit Geburt gehörlos, aber Hörgeräteträgerin und lautsprachlich aufgewachsen. Ich habe eine Regelschule besucht und finde es toll, dass du dich für deine Schülerin so interessierst. Das ist schon die halbe Integration, denn es gibt auch Lehrer, die ganz anders sind... Klasse! Mein Beitrag wird jetzt lang sein, aber dafür hoffe ich, dass du mit meinen Infos was anfangen kannst.

Ich habe auch eine Reihe von Fragen, dann kann man dir auch besser Tipps geben.

In welcher Klasse ist das Mädchen?

Ich habe mich übrigens in dem Mädchen, wiedererkannt; ich habe auch eine FM-Anlage getragen, aber meine Mitschüler nur schlecht verstanden. Das lag bei mir daran, dass die Mitschüler einfach zu weit von dem Mikrophon saßen. 10 cm Abstand sind ideal, bei bereits ab 1 m sank die Deutlichkeit der Stimme.

Wie gut kann das Mädchen mit der FM-Anlage verstehen? Kann es alles verstehen oder versteht es immer noch nur Fetzen? Muss es vom Mund ablesen?

Was du machen kannst, damit sie die Mitschüler verstehen kann: Wiederhole wesentliche Aussagen von den Mitschülern (ruhig auch mal Witze und dumme Bemerkungen!). Schreibe viel an die Tafel, oder noch besser, auf dem Overheadprojektor, damit das Mädchen vom Mund ablesen kann.

Wieviele Schüler sind in der Klasse? Je mehr, desto unruhgier. Das mit den Teppichen und Vorhängen ist ein guter Vorschlag, auch kann man eine Korkwand basteln und aufstellen.

Wo sitzt das Mädchen, sitzt es weiter vorne? Dann wird es vermutlich Schüler, die weit hinten sitzen, am schlechtesten verstehen.

Welche Sitzform habt ihr? Die ganz klassische, wo alle Tische quer zur Tafel stehen oder eine Hufeisenform? Eine Hufeisenform ist ideal, wenn das Mädchen vom Mund ablesen muss (aber leider nicht immer realisierbar).

Sitzen in der Nähe vom Mädchen unruhige Schüler? Wenn ja, evt. die Sitzordnung ändern, dass die unruhigeren Schüler weiter vom Mädchen sitzen. Aber wenn eine Lehrerin Autorität hat, kann es auch in einer Klasse mit 30 Schülern ruhig sein.

Bleistiftklopfen, Scharren usw. sollten unterbunden werden, weil dadurch das Sprachverstehen verschlechtert werden kann, solche Geräusche empfinden hörgeschädigte Schüler manchmal sehr stark als Störlärm.

Dass die Schülerin dich ohne FM-Anlage schlecht versteht, wundert mich nicht; bei mir war es auch so, dass ich meine Lehrer ohne das Ding nicht verstand, weil ohne FM-Anlage deren Stimme im Vergleich zur FM-Anlagen-Stimme extrem leise waren. Unmittelbar nach de Ausschalten habe ich sogar erst einmal fast nichts von der Stimme gehört, im Laufe der Minuten habe ich mich aber auf mein Hörgeräte-Gehör umgestellt und dann ging es wieder.

Es wäre absolut toll, wenn du die FM-Anlage im Sitzkreis weitergeben würdest, weil Sitzkreise ja eine hohe soziale Funktion haben. Durch das Weitergeben der FM-Anlage würden die Schüler auch sensibilisert werden.
Frag das Mädchen nicht, sondern probiere es einfach erst mal aus! Nach dem Versuch kannst du es fragen, ob es so beibehalten werden soll.

Sitzkreis, das klingt nach Grundschule, ist es so? Da wird auch noch viel gespielt, Kinder sprechen Sprüche und es wird gesungen. Ich hatte eine Lehrerin, die wichtige Kindergedichte und -lieder für mich aufgeschrieben hat, damit ich sie auswendig lernen und mitspielen konnte. Meine Mutter hat in der Grundschule ab und zu im Unterricht hospitiert, die Spiele in den Pausen beobachtet und sie mir zuhause erklärt. War sehr hilfreich!

Ansonsten kann ich dir nur raten, schreibe möglichst viel an der Tafel bzw. am Tageslichtprojektor, setze viele Arbeitsblätter und Bilder ein, wiederhole viel, achte darauf, dass es ruhig ist und dass das Mädchen gut auf deinen Mund sehen kann (du darfst im Klasszimmer nicht wandern...). Wenn du einen Text vorliest, gib' dem Mädchen den Text in die Hände (außer bei Fremddiktaten...)

Es gibt ein Buch von den Autoren Hauff und Kern Walter (haben beide zusammen geschrieben), ich weiß den Titel gerade nicht, aber ich glaube, das könnte dir hilfreich sein. Vielleicht werde ich im Internet fündig, dann nenne ich es dir. Ich weiß aber nicht, ob es noch verkauft wird.

Liebe Grüße,
Gudrun
Esther1
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Re: Unterricht in der Regelschule

#12

Beitrag von Esther1 »

Vielen Dank für eure Antworten!
Ich glaube, wir haben schon optimale Bedingungen für das sh Mädchen. Wir haben bereits Teppichboden und Vorhänge. Sie sitzt ganz vorne mit dem Rücken zum Fenster. Es sind nur 18 Kinder in der Klasse, alle deutschsprachig. Klar, dass Kinder in der Grundschule immer mal unruhig sind. An diesem Punkt weiß ich eben nicht, ob es unbedingt gut ist, die Kinder immer um Rücksicht zu bitten. Das mag das Mädchen vielleicht auch nicht unbedingt. Wir haben den Kindern schon gesagt, dass sie sich möglichst zu dem Kind drehen sollen. Aber gerade die Grundschulkinder wollen den Lehrer anschauen.
Gestern habe ich mit der Klassenlehrerin und der Mutter gesprochen. Es gäbe auch aufstellbare Mikros für z. B. den Sitzkreis.
Schön ist, dass das Mädchen mir von sich aus die FM- Anlage bringt und mir schon manchmal sagt, dass sie etwas nicht verstanden hat. Dass sie aber auch manchmal "abschaltet" zeigt mir, dass eben vor allem Aussagen der Kinder unter gehen. Dieses Wiederholen von den Aussagen der Kinder muss ich mir noch konsequenter angewöhnen.
Schön finde ich, dass sie sehr aufgeweckt ist und sich eben nicht zurückzuziehen scheint. Sie ist sehr beliebt. Wichtig ist wahrscheinlich, dass wir als Pädagogen gut beobachten und den Kontakt zu den Eltern suchen, falls etwas nicht so läuft.
Ich denke, die Grundschule bietet durch das viele handlungsorientierte Arbeiten bessere Möglichkeiten als eventuell die weiterführende Schule. Und meine Lehrerstimme scheint sie über die FM- Anlage auch bei Unruhe in der Klasse gut zu verstehen.

Liebe Grüße, Esther
Gudrun
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Re: Unterricht in der Regelschule

#13

Beitrag von Gudrun »

Hallo Esther,

18 Kinder sind nicht sooo viel, wenn man bedenkt, dass woanders 30 die Normalität sind. Aber sie verursachen natürlich Unruhe, in der Grundschule erst recht.

Super, wenn das Mädchen beliebt ist.

Es ist nicht notwendig, jede Aussage der Mitschüler zu wiederholen, wichtig ist halt nur, dass die Unterrichtsinhalte alle irgendwie beim Mädchen ankommen.

Ich kann nicht für alle Hörgeschädigten sprechen, aber ich kam damit gut zurecht, im Unterricht nicht alles verstehen zu können. Aber Vorsicht, die Frustrationstoleranz ist unterschiedlich hoch, andere legen Wert darauf, 100 % verstehen zu können.

Wenn du die Klasse um Ruhe bittest, dann bitte nicht mit der Begründung, dass es wegen der Schülerin wichtig sei.

Ich war z.B. in der 10. Klasse in einer sehr unruhigen Klasse, in einem Fach hatte ich einen antiautoritären Lehrer, da war es unglaublich laut (zum Glück war's nur ein Nebenfach). Wenn der Lehrer merkte, dass ich ihn wegen des Lärms nicht verstand, rief er: "Seid mal still, sonst versteht Gudrun nichts!" Das fand ich - jugendlich ausgesprochen - total bescheuert. Wenn alle Lehrer das so gemacht hätten, hätte ich die Klasse bald gegen mich gehabt, nach dem Motto, dass ich immer im Mittelpunkt stehe. Das war aber zum Glück eine Ausnahme und ich war in der Klasse auch ansonsten sehr gut integriert.

Liebe Grüße,
Gudrun

Maike
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Re: Unterricht in der Regelschule

#14

Beitrag von Maike »

Hmmmm - was mich hier etwas nachdenklich macht, ist, dass das Mädchen
einerseits beliebt ist und andererseits aber doch täglich darum kämpft,
verstehen zu können trotz optimaler Räumlichkeiten und einer tollen
Referendarin :), die sich für das Mädchen einsetzt. WENN das mit dem
Verstehen nicht besser wird trotz optimierter FM-Anlage, sollte überlegt
werden, ob nicht doch eine SH-Klasse besser wäre für das Mädchen.

Denn: In meiner Familie gibt es zwei hörgeschädigte Kinder (von drei
Kindern). Ich selber bin das eine hörgeschädigte davon und von Geburt an
gehörlos, allerdings lautsprachlich aufgewachsen, war bereits im
Kindergartenalter genauso lautsprachkompetent wie hörende Gleichaltrige.
Trotzdem schickten meine Eltern mich in die Schwerhörigenschule, in eine
Klasse, in der ich nach demselben Lehrplan wie an Regelschulen unterrichtet
wurde, denn meine Eltern sagten sich, dass ich nicht täglich meine Grenzen
beim Verstehen innerhalb der Klasse spüren sollte, sondern unbeschwert
aufwachsen sollte. - Meine Schwester dagegen ist "nur" an Taubheit grenzend
schwerhörig, konnte also mit FM-Anlage den Lehrer eigentlich sehr gut
verstehen und hatte dann auch keine Probleme, dem Unterricht folgen zu
können. Allerdings hat sie die Mitschüler (obwohl ihre FM-Anlage von
Sennheiser umschalten konnte und auch fast immer gut funktionierte) nicht
immer verstehen können und das blieb bis zu ihrem Abitur (= das sie übrigens
mit 1,1 bestand - also die Schule war - so gesehen - nicht das Problem...)
so.

Ich möchte nicht viel dazu sagen, vor allem wäre es besser, wenn meine
Schwester selber ihre eigenen Erfahrungen (= auch sie war "akzeptiert" im
Sinne, dass sie sogar mal Klassensprecherin war...) schildert.

Daher zu mir selber: Es war eine sehr sehr gute Entscheidung, mich auf die
SH-Schule zu schicken. Mir sind so die Erfahrungen erspart geblieben,
täglich ständig an meine Versteh-Grenzen (bewusst oder auch unbewusst) zu
kommen - ich konnte später z.B. im Deutsch-Leistungskurs auf dem
SH-Gymnasium ständig mitdiskutieren (und ich bin eine leidenschaftliche
Diskutiererin...) und wenn ich dann von anderen regelschulbeschulten Leuten
hörte, wie viele Stunden sie in der Schule trotz z.T. sehr guter Noten
tagein, tagaus absitzen mussten ohne "vollwertig" mitdiskutieren zu können
(= selbst wenn sie sonst "vollwertig" dabei waren und von den
KlassenkameradInnen akzeptiert worden sind, sprich: integriert waren), dann
weiß ich, dass ich nicht um eine glückliche Jugend (= da sind ja gerade
solche Diskussionen sehr wichtig...) betrogen worden bin...

Integration ist eh ein sehr relativer Begriff. Es gibt sehr unterschiedliche
Definitionen darüber (= ich habe darüber mal eine Arbeit geschrieben). Grob
gesagt, es gibt eine "äußere" und "innere" Integration.

Wie relativ dieser Begriff ist, merkst Du, Esther, selber, wenn Du Dich mal
fragst: Bin ICH wirklich integriert (= z.B. in einer bestimmten Gruppe) -
und Du wirst feststellen, dass die Antworten sehr unterschiedlich ausfallen
werden - "obwohl" Du hörst... :)

Liebe Grüße von Maike
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Maike
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Re: Unterricht in der Regelschule

#15

Beitrag von Maike »

P.S.: Mit den "anderen" Leuten meinte ich hier nicht meine Schwester,
sondern solche, die ähnlich schlecht hör(t)en wie ich... - Ich als Mutter
würde aufgrund unserer Erfahrungen auf jeden Fall ab einem gewissen
Hörverlust bzw. "Verstehkampf" mein Kind in eine SH-Schule bringen, sofern
sie wirklich z.B. das Angebot der Regelschule bringt oder eine "offene"
Klasse bietet (= also das gemeinsame Unterrichten von hörenden und
sh.Kindern)...
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Silke
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Re: Unterricht in der Regelschule

#16

Beitrag von Silke »

Liebe Esther,
ich bin die Schwester von Maike und war, wie sie schon geschrieben hat, meine ganze Schulzeit über in normalen Schulen. Ich kann mich jetzt hier vielem anschließen, was Gudrun oben schon geschrieben hat. Die Beiträge der Mitschüler habe ich ohne Mikroportanlage praktisch nicht verstanden, und ich erinnere mich daran, daß ich der ersten Lehrerin, die den Sender unter den Mitschülern herumreichte, wirklich sehr dankbar war. Ein Hörender kann sich nämlich fast nicht vorstellen, was es für eine schwierige Situation für den Hörgeschädigten ist, in einem Kreis zu sitzen ohne Möglichkeit zu gehen und nichts mitzubekommen.
Ich finde es auch wirklich klasse, daß Du Dir solche Gedanken machst, ob es dem Kind gut geht. Ich glaube, Du wirst ihr so viel helfen können.
Maike, Du hast natürlich recht damit, daß man sie rechtzeitig in eine Schwerhörigenschule umschulen sollte, wenn es schwerwiegende Probleme gibt. Nicht vergessen sollte man aber auch, daß das u.U. einen frühen Internatsbesuch und eine längere Schulzeit nach sich zieht. Ich denke, hier muß man abwägen, und solange es solche aktiven Lehrer wie Esther gibt, ist sicherlich die Gefahr geringer, daß man übersieht, wenn es dem Mädchen schlecht geht. So wie es sich im Moment anhört, geht es ja noch ziemlich gut, oder?
Liebe Grüße von Silke
Mondfeuer
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Re: Unterricht in der Regelschule

#17

Beitrag von Mondfeuer »

Hallo Esther! :-)
Auch von mir ein großes Lob an Dich!!!
Mein Sohn ist neun und trägt SH, geht in eine Regelschule, in der alles andere als Rücksicht auf ihn genommen wird. Im Gegenteil, immer mehr bekomme ich den Eindruck, dass er der Lehrerin einfach nur lästig ist :-(

Dennoch, auch wenn die Voraussetzungen in Deiner Schule optimal scheinen, akkustisch abgestimmter Raum, tolle Lehrerin (!) und das Kind ist voll in der Klasse integriert, so gebe ich hier zu bedenken, dass es für das Kind selbst dennoch großen Streß bedeutet, allein wegen der absoluten Konzentration, die es fordert, wenn man HG`s trägt. In einem anderen Bereich des Forums ging es schon einmal darum - SH-Kinder brauchen "Hörpausen", da sie sich ständig hoch konzentrieren müssen.
Auch bei meinem Sohn stelle ich das immer wieder fest. Der Unterricht fordert ständiges Umstellen von der Stimme des Lehrers, auf die der Kinder und dann noch die anderen Geräusche drumherum. Er ist oft müde und unkonzentriert, trotz einer sehr guten FM-Anlage.
Er wird ab der 5ten Klasse in eine SH-Schule gehen, nicht nur allein, weil er in den letzten Schuljahren "vernachlässigt" wurde. Ganz einfach auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass er eine individuellere Aufmerksamkeit braucht und dies ist für einen Lehrer in Regelschulen bestimmt sehr schwierig, da er ja nicht nur 1 Schüler, sondern teilweise bis zu 35 Schüler hat.
Auf jeden Fall ist es, wie in dem Fall des Mädchens, sehr wichtig,die Unterstützung einer SH-Schule anzunehmen, darauf zu bestehen. Was ich leider versäumt habe, da ich darüber keinerlei Infos hatte, sonst hätte ich das auch viel früher in Anspruch genommen.

Weiter so! Ich wünschte mir, alle Lehrer würden sich um Ihre Schüler so bemühen :-)
Liebe Grüsse
Mondfeuer
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