Meine Vorstellung

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adenied
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Meine Vorstellung

#1

Beitrag von adenied »

Hallo Forumsmitglieder,

mein Name ist Andreas, ich bin 44 Jahre alt und höre seit Jahren schlecht. Aufgefallen ist mir das zum ersten mal im Jahr 2000. Von da an ging es eigentlich immer weiter bergab. Hatte immer wieder Hörstürze, hochfrequente Töne verschwanden immer mehr. 2012 habe ich mich meiner Schwerhörigkeit endlich mal gestellt und bin zum HNO und zum HGA. Habe mir ein Kassenmodell geholt und war damit im Endeffekt so unzufrieden, dass ich es nach zwei Wochen in den Schrank gelegt und nie wieder rausgeholt habe.

Mein Gehör wurde dadurch aber nicht besser. In Kneipen oder in Diskussionsrunden mit mehreren Personen verstehe ich kein Wort mehr. Damit konnte ich leben. Mittlerweile ist es aber auch so, dass ich einige Menschen in ruhigen Umgebungen nicht mehr verstehe. Ich mache aktiv Musik, und es ist doof, wenn ein HiHat den Takt vorgibt, man diese hochfrequenten Töne aber so gut wie nicht mehr hört.

Also bin ich vor 4 Wochen wieder zum HGA. Der hat mir für gestern einen Termin gegeben. Ich war also da, habe meinen Hörtest gemacht, der noch etwas schlechter ausfiel (angeblich links mittelgradig und rechts leicht - subjektiv fühle ich mich in Bezug auf Sprache aber fast taub).

Meine Geräte wurden neu eingestellt. Das linke ist am Limit und nur am Piepen, also wurde ein Ohrabdruck genommen, damit ich links so einen Plöpel für in das Ohr bekomme.

Insgesamt ist die Situation immer noch nicht zufrieden stellend. Ich höre alles intensiver, nur Sprache nicht. Die S-Laute sind immer noch ganz schlecht zu verstehen. Dazu kommt, dass nach der Neueinstellung meine Geräte offenbar einen Kompressor oder Limitier anwerfen (komme aus der Musikwelt und kenne nur diese Begriffe). Es ist so, als ob bei einem bestimmten Pegel die Geräte ihre Verstärkung kurzzeitig automatisch runterregeln.

Das ist gaaaanz doof bei bestimmten Resonanzfrequenzen. Wenn ich Gitarre spiele, höre ich das Instrument gut, solange ich kein G spiele. Beim G macht das Hörgerät (beide Seiten) Wupsch -- und weg ist der Sound für eine kurze Zeit.

Nun ja ... meine Vorstellung ... Höre schlecht, insbesondere Sprache, habe Hörgeräte und komme damit einfach nicht klar. :-(

Deswegen bin ich nun hier, um zu sehen, ob es anderen Leuten auch so geht, und was die unternommen haben, damit sie wieder besser hören können.

Ich sehe auch schlecht (Altersweitsichtigkeit). Habe eine Gleitsicht-Brille bekommen, diese aufgesetzt, und nach zwei Tagen Eingewöhnung war alles super. ich kann nicht verstehen, dass das bei Hörgeräten so schwer sein soll. Oder liegt es daran, dass ich mir ein Gerät geholt habe, dass zuzahlungsfrei war?

Viele Grüße,
Andreas
fast-foot
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Re: Meine Vorstellung

#2

Beitrag von fast-foot »

Hallo adenied,

herzlich willkommen!

Ich möchte im Moment nur auf den letzten Abschnitt Deines Beitrags Bezug nehmen:
adenied hat geschrieben:Ich sehe auch schlecht (Altersweitsichtigkeit). Habe eine Gleitsicht-Brille bekommen, diese aufgesetzt, und nach zwei Tagen Eingewöhnung war alles super. ich kann nicht verstehen, dass das bei Hörgeräten so schwer sein soll. Oder liegt es daran, dass ich mir ein Gerät geholt habe, dass zuzahlungsfrei war?
Bei der Altersweitsichtigkeit ist ein optischer Fehler die Ursache. Dieser kann einigermassen leicht korrigiert werden, unter anderem, da die Sinnes (- und Nerven-) Zellen nicht beeinträchtigt sind.

Bei Dir liegt vermutlich eine Beeinträchtigung der Sinneszellen im Innenohr (ev. auch der Nervenzellen der nachgeschalteten Hörbahnen) vor. Diese Beeinträchtigung ist mit den besten Hörgeräten nicht mehr vollständig auszugleichen. Unter anderem deshalb hinkt der Vergleich mit der Brille.

Gruss fast-foot
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frieda
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Re: Meine Vorstellung

#3

Beitrag von frieda »

Hallo Andreas,

fast-food hat das richtig erklärt, blöderweise kann man eine (Innenohr-)Schwerhörigkeit nicht so leicht korrigieren wie einen Sehfehler, der durch falsche Linsenkrümmung verursacht wird. Da schiebst du einfach eine entsprechende Linse davor und schon funktioniert das halbwegs. Eine Schwerhörigkeit lässt sich aber eher mit einer langsamen Erblindung vergleichen, bei der die Rezeptorzellen sich langsam verabschieden. Und da hilft dann auch keine Brille mehr...

Hörgeräte anpassen kann furchtbar frustrierend sein, kenne das... Da hilft nur viel Durchhaltevermögen und immerwieder mit dem Akustiker nach optimalen Einstellungen suchen.

Wenn deine bisherigen Geräte zum Teil auf Anschlag sind, reichen sie vllt nicht mehr aus. Hat dein Gehör sich seit 2012 wesentlich verschlechtert, stehen dir auch neue (leistungsstärkere) Hörgeräte zu. Da sprichst du am besten mal mit deinem HNO.

Das automatische Abregeln kann man zum Teil verhindern (nicht komplett, denn dein Gehör soll ja nicht noch weiter geschädigt werden). Am besten sind da verschiedene Hörprogramme, eins für den Alltag und ein spezielles zum musizieren. Ich glaube mittlerweile müssen auch die Kassengeräte verschiedene Programme haben können, da bin ich mir aber nicht sicher.
Nach steiler Karriere in die Schwerhörigkeit und einseitige Taubheit nun Borg :p
Musiker_72
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Re: Meine Vorstellung

#4

Beitrag von Musiker_72 »

Hallo Andreas,

das Problem, das sich nicht korrigieren lässt, ist die Dynamik (vor allem).

Da Du Dich mit Musik auskennst: Normalerweise hat das gesunde Gehör eine Dynamik von über 100 dB. Ab 0 dB kann man was hören, ab 100 dB wird es schädlich (obwohl ein gesundes Ohr kurzzeitige Peaks über 100 dB wohl abkann, das ist aber auch Veranlagungssache und man sollte es nicht drauf ankommen lassen).

Bei einer Innenohrschwerhörigkeit verschiebt sich die Hörschwelle, bestimmte Frequenzen hört man z.B. erst ab 50 dB und nicht mehr ab 0 dB.

Die Schwelle, ab der es zu laut wird, verschiebt sich aber nicht, diese bleibt bei höchstens 100 dB. Vielfach geht diese sogar noch herunter, weil die äußeren Haarsinneszellellen so eine Art Vorverstärkerfunktion haben: Sie machen Leises lauter und Lautes leiser.

Würde man nun alles einfach 50 dB lauter machen, wäre alles ab 50 dB Eingang zu laut. Würde man die maximale Verstärkung einfach irgendwo abriegeln, wäre das immer noch schlecht, weil dann alles ab 50 dB Eingang nahe der schädlichen Grenze wäre. Man muss also schon vorher die Verstärkung herunterregeln - einen Kompressor dazischenschalten, wie Du richtig erkannt hast.

Das hat natürlich auch klangliche Nachteile, Du kennst das: Zu viel KOmpressor klingt "matschig". Das Ziel eines guten Hörgerätes ist es daher zunächst, Sprache in normaler Lautstärke verständlich zu machen. Der Sprachbereich wird also so verstärkt, dass er gut hörbar ist und nicht zu stark komprimiert.

Ich trage meine Hörgeräte jetzt etwas über ein Jahr und bin meist sehr zufrieden damit. Sprachverständlichkeit: Meist super, Musik: Auch gut, teilweise sehr gut - außer, wenn die Musik zu laut ist. Klassik + unplugged geht prima. Bei lauter Rockmusik mache ich die Hörgeräte raus und tue Lärmschutzstöpsel (Elacin, 15 dB Filter) rein.

Wenn Du jetzt mal Deine Hörkurve anonymisiert posten würdest und vielleicht noch genau, welches Hörgerät Du hast, dann könnte ich Dir noch sehr viel mehr sagen.

Im Detail kommt es auch etwas auf die Ursache der Schwerhörigkeit an. Wenn es aber wirklcih eine "normale" leicht- bis mittelgradige Altersschwerhörigkeit ist, dann sollte da mehr drin sein als das, was Du aktuell erlebst.

Ach, und noch was: Den optimalen Nutzen aus Hörgeräten zieht man erst dann, wenn man sich daran gewöhnt hat und den neuen Klang als "normal" empfindet. Bevor man das schafft, sollte man aber eine Einstellung haben, die man zumindest spontan als "ok" empfindet, sonst ist das Quälerei.

Alles Gute!
Skunkdude
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Re: Meine Vorstellung

#5

Beitrag von Skunkdude »

Hallo Andreas,

willkommen im Forum!

Dem Post von Musiker_72 kann ich uneingeschränkt zustimmen.

Ergänzend dazu die Information dass es nicht nur Kompressoren und Limiter in deinem Gerät gibt (der Limiter heißt bei uns AGCo), sondern auch Ausstattungen um Rückkopplungen zu vermeiden. Da du selbst Musiker bist kennst du die Biester bestenst aus dem Alltag und aus deinen Erfahrungen mit den Hörsystemen.
Ich vermute, dass bei deinen Hörsystemen ein Kerbfilter gesetzt ist. Daher kann es bei passieren dass Klänge nicht in vollem Umfang weitergegeben werden - das G auf der Gitarre und dessen Obertöne werden verschluckt.

Tatsächlich wäre das Ergebnis einer Ton- und Sprachmessung sehr sinnvoll. Bestimmt werden dann weitere Ansätze vorgeschlagen.

Weiterhin viel Erfolg!

Grüße!
fast-foot
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Re: Meine Vorstellung

#6

Beitrag von fast-foot »

Noch ein paar Anmerkungen:

Ich würde eher sagen, dass beinahe das einzige, was sich (zumindest teilweise) korrigieren lässt, die Dynamik ist, und zwar frequenzspezifisch.

Was hingegen unwiederbringlich verloren geht, ist die Trennschärfe. Das Gehör besitzt nämlich die Eigenschaft, aus einem Frequenzgemisch lokale Maxima in besonderem Masse zu verstärken und damit hervor zu heben, sofern die Pegelspitzen einen bestimmten Wert nicht überschreiten (bis höchstens 50 dB).
Hierdurch werden die Charakteristika eines Frequenzgemischs besonders betont; es wird ein "markantes akustisches Profil" (vergleichbar einer Landschaft mit heraus ragenden Bergspitzen) abgebildet. Mit dem Wegfall dieser Eigenschaft (bpsw. insbesondere durch einen Verlust der Funktion der OHCs) können durch eine (zwar frequenzspezifische, aber innerhalb eines Dynamikkanals realisierte) Verstärkung "nur die gesamte Klanglandschaft erhöht werden", ohne jedoch sanfte Hügel etc. zu markanten Bergspitzen zu formen, an welchen man sich orientieren kann. Deshalb wird (einfach ausgedrückt) zwar alles lauter, aber nicht unbedingt sehr viel deutlicher.

Die kritischen Schalldruckpegel, welche man sich nicht dauerhaft aussetzen sollte, liegen (nach neuesten Empfehlungen) unterhalb von 80 dB (A), wobei besondere Pathologien (welche so selten auch nicht anzutreffen sind) noch nicht ein mal berücksichtigt sind.

Klar verträgt ein Gehör in den meisten Fällen auch Schalldruckpegel, welche über 100 dB liegen - allerdings nicht über eine all zu lange Zeit und auch nur dann, wenn es nicht bereits "vorbelastet" ist (also bereits einer Lärmdosis ausgesetzt war, von welcher es sich gerade erholt).

Natürlich gibt es grosse interindividuelle Unterschiede - leider ist es kaum möglich, die individuelle aktuelle Vulnerabilität eines Ohres zu bestimmen. Forschungen in diese Richtungen förderten bisher kaum in der Praxis verwertbare Ergebnisse zu Tage.

Gruss fast-foot

Gruss fast-foot
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adenied
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Re: Meine Vorstellung

#7

Beitrag von adenied »

Hallo Alle,

erst einmal herzlichen Dank für all die Informationen, die ihr mir habt zukommen lassen. Leider lese ich im großen und ganzen das heraus, was ich innerlich schon befürchtet habe: mein Gehör wird auch mit einem Hörgerät nie wieder so, wie es früher einmal war (eben im Gegensatz zu meinen Augen).

Ich würde gerne meine Werte hier posten, nur habe ich keine zur Hand, weil ich die weder beim Arzt noch beim HGA mitbekommen habe. Ich bin am 9.3. wieder beim HGA und werde dann mal danach fragen. Zum Sprachverständnis: ich weiß nicht, wie umfangreich Tests da normalerweise sind, aber bei der ersten Lautstärkeeinstellung habe ich rechts noch 70 und links 40 Prozent der Worte verstanden, wobei ich wohl einige doch eher "geraten" habe :-( Ich poste die genauen Werte nach meinem nächsten HGA-Besuch.

@Musiker_72: okay, Deine Erklärung zum Kompressor-Effekt sind einleuchtend, allerdings rede ich hier nicht von einer großen Lautstärke. Beispiel: ich stehe auf der Terrasse und höre den Verkehr von der 600 m entfernten Straße (den höre ich mit HG wirklich super :-)). Nun klatsche ich in die Hände oder schnippe mit den Fingern, nicht laut, sondern fast in Zimmerlautstärke. Dann merke ich, wie das HG den kompletten Autoverkehr "runterregelt", für ca. 0.5 Sekunden. Wie oben schon beschrieben hatte ich das auch beim G auf der Gitarre, aber mit dieser Frequenz ist das nicht reproduzierbar. Mal geht es mal nicht. Und auch hier rede ich nur von Zimmerlautstärke, teilweise sogar noch leiser, weil Schatzi gerade in der Küche gearbeitet hat.

Das ganze tritt auch erst auf, seitdem die Hörgeräte auf meine neue "Hörleistung" (oder auch nicht) eingestellt worden sind. Vorher habe ich diesen Effekt nie beobachtet.

Meint ihr, ich sollte vor dem Termin am 9.3. (da bekomme ich für die linke Seite einen "dichten Stöpsel", weil das Gerät auf der Seite sonst nur am rückkoppeln ist) noch mal außer der Reihe zum HGA?

Ich habe da starke Hemmungen. Für mich sind schon die Sprachtests unheimlich demütigend, da ich es als peinlich empfinde, wenn mir Worte vorgesagt werden und ich nur mit den Schultern zucken kann. Ich weiß auch nicht so recht, wie ich meine Unzufriedenheit ausdrücken kann. Ich kann der HGA ja schlecht irgendwelche Frequenzen nennen, die ich gerne mehr hören würde, ich weill einfach nur Sprache verstehen, und halbwegs so hören, wie ein normaler Mensch (für mich nicht ganz unwichtig, da ich meine Musik selber abmische. Wenn ich im Bereich 4 KHz nix mehr höre und beim Mixen dann bei allen Metallinstrumenten ordentlich höhen reinmische, dann haut es einen Normalsterblichen wohl von den Beinen).

VG,
Andreas
HarryHH
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Re: Meine Vorstellung

#8

Beitrag von HarryHH »

600 m, wau, was für eine Strecke...
Welche Geräte hast du?
Vorab: Auf jeden Fall musst Du bei dem HGA auf den Schoß

Das mit der Vorsprache von Worten ohne Satzzusammenhang und meinem folgenden Schulterzucken beim Hörtest MIT HGn kenne ich auch -mach´mir aber nix mehr draus.
Wobei raten ausdrücklich erlaubt war

Ich vermute, die Sprecher >nuscheln besonders sehr deutlich< und >betonen bestimmte Buchstaben extra nicht<.

Das ist jedoch nur mein pers. Eindruck, der sich allerdings täglich im Fernsehen verschiedener Sendungen beweist.

Erst dramaturgisch wertvolles flüstern der Stimmen, dann das Aufbrüllen der Musik; Pause; es folgt die scharfstimmige Werbung, damit jeder versteht, was sie/er nicht braucht = da sind in punkto Ton halt Tontechniker-Schwachmaten zu Werke.
Trotz Dicketal-Technik scheint ein durchgehender Pegel nicht möglich zu sein -ich bin aus dem Fachbereich Fernmeldetechnik.

Ins Kino gehe ich schon lange "vor den HGn" nicht mehr.

NICHTS wird wieder wie es war. Es ist also keineswegs demütigend.
Wenigstens bin ich optisch weitsichtig ...
Verlust in den Höhen + ein ztw. seelisch bedingter Tinnitus bei 8 kHz.
SIEMENS Pure 5bxS.
Dazu oft ein Augentinnitus ;)
Musiker_72
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Re: Meine Vorstellung

#9

Beitrag von Musiker_72 »

Hallo Andreas,

wenn Du selbst Musik abmischst, dann bist du es gewohnt, auf "merkwürdige" Sachen zu hören, und dann fallen Dir bei Hörgeräten Sachen auf, die den meisten Nutzern eben nicht auffallen. Mir geht es da genauso.

Klatschen und Schnippen ist Impulsschall. Eventuell hast Du eine Impulsschallunterdrückung eingeschaltet. Angenehm, weil sie Dich vor Geschirrklappern usw. schützt, aber von der Klangtreue her natürlich eine Katastrophe.

Also: Impulsschallunterdrückung ausschalten. Wenn der Effekt dann immer noch auftritt, dann liegt es an der "normalen" Kompression. Geeigneter Test dafür: Wasserhahn anschalten, dann tief dazu summen. Wenn der Wasserhahn dann klanglich "dumpf" wird, dann fängt wegen des tiefen Summens das HG schon an zu komprimieren.

Anderer Test: Schöne Musik anmachen mit viel Höhen (also z.B. Becken, akustische Gitarren). Dann dazu schnippen / summen usw. , wenn dann die Höhen wegbleiben, liegt´s an der Kompression. Das hat den Vorteil, dass Du eine geeignete Musik zum Akustiker mitnehmen kannst und dort prüfen kannst, ob die Änderungen was bringen.

Aber: Du willst ja auch Sprache verstehen. Normal laute Sprache hat ca. 50 dB, das heißt, da muss das HG ordentlich verstärken. Diese Verstärkung muss aber schon für 65 dB Eingang heruntergeregelt werden. Um leise Sprache zu verstehen, brauchst Du Kompression, es geht nicht anders.

Deswegen habe ich folgende Programme:

- Standardprogramm: entspricht ziemlich der Normberechnung nach NAL-NL2 (das ist eine Anpassformel, google mal danach). Nal-NL2 komprimiert recht stark, ich verstehe damit sehr gut. Alle Störgeräuscheunterdrückungen und sonstigen Extras sind hier abgeschaltet (für den natürlichen Klang), für die Direktionalität ist eine Simulation der Ohrmuschel (also leichter Focus nach vorne, nach hinten höre ich aber auch noch) gewählt
- Programm für Sprache im Lärm: Gleiches wie Standard, aber der Umgebungsoptimierer für Sprache im Lärm ist angeschaltet. Wird Sprache im Lärm erkannt, ändert sich die Kompressionskennlinie, damit man laute Sprache (im Lärm reden die Leute lauter) besser verstehen kann. Hier ist ferner eine leichte Störgeräuschunterdrückung an, angenehm z.B. beim Kochen mit Dunstabzug
- Programm für Live-Musik: Alle Extras aus, Verstärkung für leise Pegel runter, für laute etwas mehr, dadurch insgesamt kaum Kompression
- Programm für leise Musik: Ähnlich wie P1, aber omnidirektional

Ich bin gefühlte 100 mal zum Akustiker gerannt. Ich habe die Tests zum Erkennen von Kompressionsartefakten aber alle selbst entwickelt. Sowas hört vielleicht einer von 1000 Kunden, Akustiker beschäftigen sich damit meistens nicht (womit ich nicht gesagt haben will, dass es nicht doch welche tun, speziell diejenigen, die selbst Musik machen).

Und ja, natürlich ist das deprimierend, wenn man da sitzt und Sprache nicht versteht und Töne nicht hört usw. Aber andererseits: Ganz viele Leute haben normale Ohren und sind z.B. trotzdem nicht in der Lage, bei Musik den Rhythmus der HiHat rauszuhören. Du konntest das, und wenn Dein HG gut eingestellt ist, dann kannst Du es wieder.

Es wäre jetzt wirklich hilfreich zu wissen, was für ein Hörgerät Du aktuell hast. Wenn es zuzahlungsfrei war, ist es wahrscheinlich ein Gerät mit Schläuchen. Hättest Du ein Gerät mit Lautsprechern im Ohr (RITE, Receiver in the ear), dann wäre klanglich da erheblich mehr drin. Auch hättest Du dann evtl. selbst bei offenen Schirmen noch keine Rückkopplungen. Hast Du damals nicht auch mal ein anderes HG ausprobiert? Es gibt schon auch gute Geräte mit geringer Zuzahlung, ganz ohne Zuzahlung bekommst Du ein RITE-Gerät aber, soweit ich weiß, nicht.

Gruß,

Musiker_72
Musiker_72
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10

Re: Meine Vorstellung

#10

Beitrag von Musiker_72 »

@fast-foot: Spielst Du auf den Cocktailparty-Effekt an? Das Gesunde Ohr ist in der Lage, gewünschten Schall gegenüber ungewünschtem um 10 bis 15 dB zu verstärken. Ich finde aber wenig dazu, ob man auch mit Hörgeräten noch in der Lage ist, Schallquellen zu isolieren, denn in erster Linie ist das wohl eine Binaurale Fähigkeit. Wenn nun beide Ohren gut versorgt sind, hat man sicher auch mit HG noch eine gewisse Möglichkeit, Schallquellen zu isolieren. Hierbei ist eben die Frage, welcher Anteil der Arbeit von den OHCs übernommen wird, und welcher Anteil vom Gehirn. OHCs kaputt, Gehirn intakt, was ist noch drin? Würde mich echt interessieren. Abgesehen von Sprache im Lärm (die ich auch noch gut verstehe, solange der Lärm jetzt nicht extrem ist) kann ich persönlich mich über mangelnde Trennschärfe nicht beklagen. Mit den Hörgeräten kann ich wieder sehr viel besser bei Musik die einzelnen Instrumente heraushören. Ich würde behaupten, dass ich das sehr viel besser kann als die meisten Menschen mit gesunden Ohren, weil ich darin geübt bin. Damit ist doch an dieser Stelle die Leistung des Gehirns von größerer Bedeutung als die der Ohren, oder?
fast-foot
Beiträge: 5624
Registriert: 12. Okt 2008, 15:55
16

Re: Meine Vorstellung

#11

Beitrag von fast-foot »

Hallo Musiker_72,

ich spreche in erster Linie von der durch die aktive Verstärkungs-Funktion der OHCs ermöglichten Frequenzselektivität bzw. Trennschärfe bezüglich Frequenz. Inwiefern bspw. die Verschaltungen im Hirnstamm hierbei einer Rolle spielen, weiss ich nicht - das spielt auch keine Rolle, da die Funktion bei Ausfall der Funktion der OHCs weg fällt.

Beispielsweise hier ist der Mechanismus einigermassen gut erklärt (ab s. 60):

http://medi.uni-oldenburg.de/download/d ... ichl09.pdf

Ganz am Ende (des relevanten Bereichs) steht:

"• Die äußeren Haarzellen (OHC) bewirken eine Verstärkung, die auf niedrige Pegel beschränkt ist (cochleärer Verstärker). Sie erhöhen somit die Hörschwelle.
• Die OHC bewirken bei niedrigen Pegeln gleichzeitig eine Verschärfung der Tuningkurven."

Bei einem Ausfall (egal, in welcher Grössenordnung) der Funktion der OHCs fällt beides weg (im Ausmasse abhängig von der Grössenordnung des Ausfalls). Ein Hörgerät kann jedoch nur die erste Begebenheit ausgleichen, und dies auch nur teilweise.
OHCs kaputt, Gehirn intakt, was ist noch drin?
In Bezug auf die Verschärfung Tuningkurve, bedingt durch die aktive Verstärkungsfunktion der OHCs*, rein gar nichts mehr.

*) da diese durch eine intakte Funktion der OHCs bedingt ist und somit bei "kaputten OHCs" komplett weg fällt

Gruss fast-foot
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