Schwerhoerigenforum.de

Guten Abend in die Runde,

Als Ja doch noch ziemlicher HG- und Schwerhörigkeits-Neuling habe ich doch noch mal eine Frage. Und zwar, es heißt ja immer, dass, je mehr man die HG trägt, desto eher gewöhnt sich das Gehirn und desto mehr versteht man. Also Hören quasi als Training.

Mein Akustiker, den ich natürlich auch danach gefragt habe, begann mit „soviel wie möglich, wenn’s geht 10-12 Stunden pro Tag“; je besser wir uns kennenlernten über das ausprobieren, desto mehr entspannte er sich, sozusagen.

Meine Lebensumstände sind so, dass ich viel lese und schreibe, und auch recht viel im Flugzeug sitze, und vor den Hörgeräten habe ich da Noise Cancelling earphones getragen. Je weniger ich da höre, desto besser und angenehmer, desto mehr kann ich mich konzentrieren.

Insoweit frage ich mich nun, boykottiere ich mich selbst, wenn ich eben nicht 10-12 Stunden täglich die HGs trage, sondern wenn ich sie nur dann trage, wenn Geräusche, Sprache, etc, wichtig sind, also nicht in den Situationen, wenn ich zuvor mich bemüht habe, Geräusche auszublenden?

Mein Akustiker sagt, das sei ok. Ich hätte aber gern noch ein paar andere Meinungen…

Danke!

Hallo,
Hören mit einem Hörgerät ist ein Training für das Hörzentrum, das wieder erlernen muss zwischen unwichtigen und wichtigen akustischen Signalen zu unterscheiden, z.B Sprache im Störlärm.
Mit dem Training des Hörens ist es, wie mit sportlichen Training. Je weniger man trainiert, desto länger braucht man sein Zeil zu erreichen,

Gruß

Dirk

Ich finde die Frage interessant, wollte das auch immer mal schon provokant umgekehrt formuliert in die Runde werfen:
Verlernt man das Hören ohne Hörgeräte wenn man die Hörgeräte viel und lange trägt?

Was ich meine: mit Hörgeräten verstehe ich leichter, daher verwende ich die Hörgeräte gerne bei Besprechungen, im Restaurant, etc.
Ich kann mich aber auch ohne Hörgeräte noch verständigen, bekomme noch alles mit und muss halt manchmal 2mal nachfragen. Aber es geht. Wenn ich mich nun mit viel Hörgeräte "verwöhne", verlerne ich das dann? Mit dem Alter lässt dieses Verstehen über die Kombinationsleistung im Gehirn sicher nach aber geht das dann schneller wenn ich es nicht "trainiere"?
Weil oft ist es ja auch ganz angenehm wenn man keine Hörgeräte drinnen hat. Ist bei mir ähnlich wie bei den Kontaktlinsen.

Hi Dirk,

Danke für die Antwort - und entschuldige, aber das ist so genau die ‚ohne Size fits all‘-Antwort, mit der ich nicht so gut klar komme. Mein Hörverlust ist irgendwo zwischen leicht und mittel. Die Hälfte meines Tages, circa, war bisher eher ‚Ruhe einschalten‘ angesagt. Jetzt soll also alles getan werden, ums laut zu haben - obwohl das meinem Bedarf eher widerspricht?

Ich hab da leicht Schwierigkeiten mit.

Gibt es da Messungen? Forschung? Wissenschaftliche Veröffentlichungen?

Ich kann mir einfach nur schwer vorstellen, dass ein grundsätzliches ‚Hör viel, hör laut, immer‘ hilfreich ist, jenseits von persönlichen Umständen. Ist das wirklich so?

Ohrbert hat geschrieben: ↑27. Aug 2022, 20:54 Was ich meine: mit Hörgeräten verstehe ich leichter, daher verwende ich die Hörgeräte gerne bei Besprechungen, im Restaurant, etc.
Ich kann mich aber auch ohne Hörgeräte noch verständigen, bekomme noch alles mit und muss halt manchmal 2mal nachfragen. Aber es geht. Wenn ich mich nun mit viel Hörgeräte "verwöhne", verlerne ich das dann? Mit dem Alter lässt dieses Verstehen über die Kombinationsleistung im Gehirn sicher nach aber geht das dann schneller wenn ich es nicht "trainiere"?
Weil oft ist es ja auch ganz angenehm wenn man keine Hörgeräte drinnen hat. Ist bei mir ähnlich wie bei den Kontaktlinsen.

Ja, genau - das ist, was ich meine, oder wo meine Frage hinzieht!

Ohrbert hat geschrieben: ↑27. Aug 2022, 20:54 Ich finde die Frage interessant, wollte das auch immer mal schon provokant umgekehrt formuliert in die Runde werfen:
Verlernt man das Hören ohne Hörgeräte wenn man die Hörgeräte viel und lange trägt?

Was ich meine: mit Hörgeräten verstehe ich leichter, daher verwende ich die Hörgeräte gerne bei Besprechungen, im Restaurant, etc.
Ich kann mich aber auch ohne Hörgeräte noch verständigen, bekomme noch alles mit und muss halt manchmal 2mal nachfragen. Aber es geht. Wenn ich mich nun mit viel Hörgeräte "verwöhne", verlerne ich das dann? Mit dem Alter lässt dieses Verstehen über die Kombinationsleistung im Gehirn sicher nach aber geht das dann schneller wenn ich es nicht "trainiere"?
Weil oft ist es ja auch ganz angenehm wenn man keine Hörgeräte drinnen hat. Ist bei mir ähnlich wie bei den Kontaktlinsen.

Und ich muss auch nicht von den Vögeln geweckt werden, und die Amseln stören mich beim Zeitung lesen, und ich muss auch nicht die Rasenmäher in der Nachbarschaft in voller Lautstärke mitkriegen, und Wind und Motor sind immer noch laut genug usw. Weniger zu hören, ist nicht immer nur nachteilig. Haben wir nicht alltäglich zu viel Lärm um uns herum ? BTW: Unausnehmbare IDOs kommen für mich nicht in Frage, wenigstens nachts will ich totale Ruhe haben.

Ich fand/ finde es für mich in der Eingewöhnungsphase mit einem neuen Hörgerät gut und wichtig, es so oft und lange wie möglich zu tragen.
Das ist vielleicht zunächst hart, hat mir aber im Endeffekt jede Menge Lebensqualität und -energie beschert, wenngleich ich zu den Menschen gehöre, die auch ohne HG's überleben können.

Die meisten HG's haben zudem heute Programme, mit denen man sich der jeweiligen Situation anpassen kann.

Ohrbert hat geschrieben: ↑27. Aug 2022, 20:54 Ich finde die Frage interessant, wollte das auch immer mal schon provokant umgekehrt formuliert in die Runde werfen:
Verlernt man das Hören ohne Hörgeräte wenn man die Hörgeräte viel und lange trägt

Mit meinem "schlechteren" Ohr habe ich nach schleichendem Hörverlust über 25 Jahre und ohne HG-Versorgung am Ende keine Sprache mehr verstanden.
Durchs Hörgerät hat das Ohr wieder gelernt, den Input zu Sprache zu verarbeiten. Hat allerdings gut ein halbes Jahr gedauert und ist immer besser geworden.
Mittlerweile kann ich mit dem besagten Ohr ohne HG telefonieren - so die Geräuschquelle laut genug ist.
Von daher glaube ich nicht, dass man mit Hörgeräten das Hören verlernt

... noch was zum Thema Hörverlust und Demenz:
https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/ ... nz804.html

Convallaria hat geschrieben: ↑27. Aug 2022, 19:14 Meine Lebensumstände sind so, dass ich viel lese und schreibe, und auch recht viel im Flugzeug sitze, und vor den Hörgeräten habe ich da Noise Cancelling earphones getragen.

Das würde ich tatsächlich einfach beibehalten. Den Flugzeuglärm braucht niemand.

Convallaria hat geschrieben: ↑27. Aug 2022, 19:14 Insoweit frage ich mich nun, boykottiere ich mich selbst, wenn ich eben nicht 10-12 Stunden täglich die HGs trage, sondern wenn ich sie nur dann trage, wenn Geräusche, Sprache, etc, wichtig sind, also nicht in den Situationen, wenn ich zuvor mich bemüht habe, Geräusche auszublenden?

In allen anderen Situationen würde ich die HG immer tragen, gerade in der Testphase, wo man sich an den Klang gewöhnen muss. Das dauert ja schon etwas, ich halte es für kontraproduktiv hier die HG zu entfernen.

Ich trage meine Geräte von früh bis spät, also typischerweise deutlich mehr als 12h; auch dann, wenn ich komplett alleine zu Hause bin, z.B. im Home Office (ist häufig der Fall). Ich fühle mich ohne die Geräte tatsächlich unwohl. Das wäre, wie die Brille abzunehmen und alles ist unscharf. Mache ich auch nicht.
Einzige Ausnahme: Für Videokonferenzen nehme ich die HG raus und wechsle auf ein Noise-Cancelling Headset.

Ich trage meine Hörgeräte von morgens bis abends, auch in der Probephase.

Bei Bedarf stelle ich sie halt leiser oder lauter oder wechsle das Hörprogramm.

Meine neuen Hörgeräte haben mir auch viel mehr und lautere Geräusche aus der Umgebung übertragen, als meine ersten. War anfangs unangenehm, inzwischen ist es normal. Also hat sich mein Gehirn wohl drauf eingestellt. Würde ich sie nur manchmal tragen, würde ich sicher den Geräuschpegel noch immer als unangenehm empfinden.

Ich trage (sowohl die alten als auch die neuen) von morgens bis zum Schlafengehen immer, ohne Ausnahme. Sie sind ein Teil von mir geworden, ohne fehlt was. Ich könnte auch ohne sehr viel verstehen, aber selbst wenn ich allein bin, trage ich sie.
Als mein Akustiker mich bei meinen ersten HGs gefragt hat, wie oft und wie lang ich sie trage, hab ich ihn erstmal verständnislos angeschaut, weil für mich selbstverständlich war, dass man sie den ganzen Tag trägt, wenn man schon welche hat und braucht.

Und wenn es einem zu laut wird, kann man sie doch leiser machen oder sogar ganz ausschalten. Das ist doch dann wie die noise cancelling Dinger (oder nicht?).

Hanne hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 10:03 Und wenn es einem zu laut wird, kann man sie doch leiser machen oder sogar ganz ausschalten. Das ist doch dann wie die noise cancelling Dinger (oder nicht?).

Nicht ganz, weil beim Noise-Cancelling aktiv Gegenschall erzeugt wird, der den ankommenden Schall durch Inferenz auslöscht (oder das zumindest versucht, das kann dann im Resultat auch nur eine Abschwächung sein).

Robert Wilhelm hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 07:47 Weniger zu hören, ist nicht immer nur nachteilig.

Zugegeben war das letzte Woche in einer Videokonferenz exakt mein Gedanke ....

tabbycat hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 08:14 Durchs Hörgerät hat das Ohr wieder gelernt, den Input zu Sprache zu verarbeiten. Hat allerdings gut ein halbes Jahr gedauert und ist immer besser geworden.

Das finde ich spannend. Ist das ein weitergehender Effekt? Also, wenn das Hörvermögen durchs HG-tragen (sozusagen vermehrt Input) besser wird, gibt es Menschen, die dann irgendwann kein HG mehr brauchten?

Chromobotia hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 08:42 Das würde ich tatsächlich einfach beibehalten. Den Flugzeuglärm braucht niemand.

Danke. Das ist auch so mein Eindruck, und ich finde es auch verwirrend. Einerseits ist Lärm als eine Ursache für Hörschädigung benannt, andererseits soll ich dann das HG so oft und viel wie möglich tragen, also mich Lärm aussetzen. So ganz kommt mein Kopf bei der Argumentation nicht mit.

Chromobotia hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 08:42 Ich trage meine Geräte von früh bis spät, also typischerweise deutlich mehr als 12h; auch dann, wenn ich komplett alleine zu Hause bin, z.B. im Home Office (ist häufig der Fall). Ich fühle mich ohne die Geräte tatsächlich unwohl. Das wäre, wie die Brille abzunehmen und alles ist unscharf. Mache ich auch nicht.

Vielleicht liegt da mein Verständnisproblem: ich nehm nämlich auch die Brille ab, zumindest zumLesen im Bett. Trotz Gleitsicht und so weiter ist mir das angenehmer.

Bei Videokonferenzen komme ich mit den HGs gut klar - aber bei Musik und auch bei TV sind meine AirPods deutlich besser, und da werde ich wohl bei AirPods bleiben. Die Tonqualität ist einfach wesentlich besser.

Hanne hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 10:03 Und wenn es einem zu laut wird, kann man sie doch leiser machen oder sogar ganz ausschalten. Das ist doch dann wie die noise cancelling Dinger (oder nicht?).

Nein, nicht wirklich - die Idee hinter Noise cancelling ist ja gerade, dass Umweltgeräusche ausgeschaltet werden, während das, was durch die Kopfhörer kommt (Podcast, Musik, TV, etc) weiter klar bleibt. Also, im Flieger schalten mir die Kopfhörer den Fluglärm ziemlich weg - lassen mir aber TV-sound oder Musik - oder einfach weisses Rauschen oder was immer ich einstelle. Das geht mit HG ausschalten oder leiser machen leider nicht!

Convallaria hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 10:57 Vielleicht liegt da mein Verständnisproblem: ich nehm nämlich auch die Brille ab, zumindest zumLesen im Bett. Trotz Gleitsicht und so weiter ist mir das angenehmer.

Na gut, erwischt, im Bett zum Lesen habe ich auch keine Brille auf, und oft auch nicht beim Lesen am Tisch. Das liegt bei mir aber daran, dass ich ohne Brille besser lesen kann. Auch Gleitsicht, der Trend geht da leider zur Drittbrille...

Ich hatte diese Analogie auch eher darauf bezogen, dass ich tagsüber zu Hause nicht ohne Brille durch die Gegend laufe und das unscharfe eben akzeptiere. So wäre es ja ohne Hörgerät, man hört eben vieles dann nicht (wobei auch ich sehr gut ohne HG zurecht komme, mit Einzelpersonen kann ich mich in einigermaßen ruhiger Umgebung auch ohne noch unterhalten).

Ah, okay. Das kommt davon, wenn man über was redet, wovon man keine Ahnung hat . Hätte ja vor meinem Post nur mal "noise cancelling kopfhörer" googeln brauchen! ...

Chromobotia hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 11:12 Na gut, erwischt, im Bett zum Lesen habe ich auch keine Brille auf, und oft auch nicht beim Lesen am Tisch. Das liegt bei mir aber daran, dass ich ohne Brille besser lesen kann. Auch Gleitsicht, der Trend geht da leider zur Drittbrille...

Oh ja, hier auch: Sonnenbrille, Gleitsichtbrille, Arbeitsplatzbrille ... und selbstverständlich fehlt immer gerade die, die ich bräuchte ...

Ich hatte diese Analogie auch eher darauf bezogen, dass ich tagsüber zu Hause nicht ohne Brille durch die Gegend laufe und das unscharfe eben akzeptiere. So wäre es ja ohne Hörgerät, man hört eben vieles dann nicht (wobei auch ich sehr gut ohne HG zurecht komme, mit Einzelpersonen kann ich mich in einigermaßen ruhiger Umgebung auch ohne noch unterhalten).

Schon klar. ich glaube, ich zicke auch noch ein wenig rum mit dem Gedanken, jetzt Hörgeräte zu brauchen, und ich such noch so kleine Ausflüchte.

Hanne hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 11:23 Ah, okay. Das kommt davon, wenn man über was redet, wovon man keine Ahnung hat . Hätte ja vor meinem Post nur mal "noise cancelling kopfhörer" googeln brauchen! ...

So lange gibt es die Technik auch, glaub ich noch nicht, und man kann ja nicht mit allen Entwicklungen und Neuigkeiten immer schritt halten!

Irgendwo hier im Forum habe ich auch gelesen, dass ich meine AirPods mittlerweile auf mein Audiogramm programmieren kann - da muss ich mich auch erst mal einlesen. Aber, es ist schon irre, was die da machen!

Convallaria hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 10:57

tabbycat hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 08:14 Durchs Hörgerät hat das Ohr wieder gelernt, den Input zu Sprache zu verarbeiten. Hat allerdings gut ein halbes Jahr gedauert und ist immer besser geworden.

Das finde ich spannend. Ist das ein weitergehender Effekt? Also, wenn das Hörvermögen durchs HG-tragen (sozusagen vermehrt Input) besser wird, gibt es Menschen, die dann irgendwann kein HG mehr brauchten?

Ich denke, solange die Schwerhörigkeit eine organische Ursache hat, kann man sie nicht "wegtrainieren". Sehr wohl kann man aber dem Gehirn beibringen, die plötzlich wieder ankommenden Töne zuzuordnen, also z. B. in Sprache oder bestimmte Geräusche.

Zu tabbycats letzzen Beitrag sei noch hinzugefügt, dass man mit oder ohne Brille auf eine bestimmte Entfernung scharf oder eben nicht scharf sieht. Bei Hörgeräten ist das nicht so! Mit HG bekommt das Gehirn zwar mehr Input. Das muss aber auch erst mal wieder lernen, das Mehr an Input verarbeiten und zuordnen zu können.

Schlimmer noch: das unbeschwerte Hören mit HG zu erlernen dauert wesentlich länger als man es verlernt, wenn man auf das Tragen der HGs verzichtet.

Bei mir geht das so weit, dass ich mir am Montag schon wieder schwer tu meine Kollegen zu verstehen, nur weil ich übers Wochenende mal total auf akustischen Input durch Nichtanlegen meiner CIs verzichtet habe. Man soll zwar auch Hörpausen machen, aber auch dabei kann man übers Ziel hinausschießen, wie ich feststellen musste.

Ohne HGs trainieren Hochtonschwerhörige ihre Kombinationsfähigkeit, mit HGs hingegen das unbeschwerte Hören. Letzteres ist aber wichtig, um gerne in regelmäßigen Abständen mit anderen zu unterhalten. Und auch dieses letzteres kann man verlernen, was zu einem Teufelskreis werden kann.

Zustimmung zu den beiden letzen Beiträgen!
Haarzellen die kaputt sind, lassen ich durch Training nicht wieder "reparieren".
Man kann aber als hörgeschädigter Mensch mit viel weniger akustischem Input Sprache verstehen, wenn man gelernt hat aus lückenhaftem akustischem Input und viel Konzentration den Zusammenhang zu erahnen. Das klappt allerdings nur bei einem guten Wortschatz, guter Verarbeitungsgeschwindigkeit, zeitlich begrenzt und unter hohem kognitiven Aufwand.
Unter Stress, unausgeschlafen und als Dauerzustand ist ist das eine Kompensationsstrategie, die einerseits sehr störanfällig ist und langfristig leicht in einen Burnout führt.
Ich würde da wirklich mehr auf das Trainieren des Gehirns setzen, das Sprachverstehen mit Hörhilfen zu trainieren. Dies setzt bei vielen Voraus, dass der "Normalzustand" quasi das Tragen der Hörhilfen ist, und nicht das sporadische Nutzen derselben, bei besonders schwierigen Situationen.
Ausnahmen mögen die Regel bestätigen, bleiben aber trotzdem Ausnahmen.

Sensorische Deprivation, also das Fehlen oder geringeres Wahrnehmen von in unserem Fall Hören, führt zu Kompensationsstrategien und auch entsprechenden Veränderungen im Gehirn. Je nachdem was mehr trainiert wird (Absehen, Kombinieren, Worterkennung) wird stärker "verdrahtet", leichter zugänglich sein und dadurch weniger Energie benötigen.

Ich trage meine Hörgeräte vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Ohne fühle ich mich unwohl und unvollständig, auch ist für mich keine vernünftige Kommunikation ohne meine beiden Hörgeräte möglich.
Ich kann nur empfehlen die Hörgeräte so oft und so lang wie möglich zu tragen

Etwas komplizierter wurde es auf dem diesjährigen CI-Kongress in Hannover ausgedrückt:

"Die menschliche Großhirnrinde ist das komplexeste Organ, das wir kennen. Seine Komplexität ermöglicht uns erst, bewusst wahrzunehmen. Die Großhirnrinde besteht aus einer riesigen Zahl von Nervenzellen, die in dynamisch durch Synchronisation definierten Gruppen miteinander kommunizieren.
Durch einen selbstorganisierenden Prozess steuern diese, welche Information assoziiert wird und welche nicht. Dieser Prozess erlaubt, während
des gesamten Lebens das Verhalten eines Individuums an veränderte Bedingungen anzupassen. Insbesondere das Hören erfordert, dass Sinneseindrücke mit entsprechenden Gedächtnisinhalten verglichen werden, um zu erkennen, was gerade um uns herum passiert oder gesagt wird. Erfolgreiche Wahrnehmung erfordert unter anderem Wachsein und Aufmerksamwerden, die sich in Hirnzuständen ausdrücken, die dadurch gekennzeichnet
sind, dass die Aktivität der Nervenzellen zyklisch schwingt". PD Dr. med. Matthias H. J. Munk, Gedächtnissprechstunde, Neurophysiologie von Wahrnehmungs- und Gedächtnisprozessen, Rolle von Neuromodulatoren für Lernprozesse, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen

Quelle: Abstractband Hannoverscher CI-Kongress 2022

tabbycat hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 14:26

Convallaria hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 10:57

tabbycat hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 08:14 Durchs Hörgerät hat das Ohr wieder gelernt, den Input zu Sprache zu verarbeiten. Hat allerdings gut ein halbes Jahr gedauert und ist immer besser geworden.

Das finde ich spannend. Ist das ein weitergehender Effekt? Also, wenn das Hörvermögen durchs HG-tragen (sozusagen vermehrt Input) besser wird, gibt es Menschen, die dann irgendwann kein HG mehr brauchten?

Ich denke, solange die Schwerhörigkeit eine organische Ursache hat, kann man sie nicht "wegtrainieren". Sehr wohl kann man aber dem Gehirn beibringen, die plötzlich wieder ankommenden Töne zuzuordnen, also z. B. in Sprache oder bestimmte Geräusche.

Ich stimme tabbycat da absolut zu in beiden Punkten, ich habe nachdem ich die ersten HG eine Weile hatte auch festgestellt, dass sich mein Hören mit HG ohne Änderung der Einstellung verbessert hatte. Ich musste da etwas daran denken, dass da einige Bereiche, sei es Hörnerv oder im Gehirn, quasi wieder "aufgeweckt" wurden die aufgrund fehlender Stimulation "eingeschlafen" waren. Ich kann verstehen, dass du @Convallaria diesen Gedanken hattest, dass man dann ja evtl. irgendwann keine HG mehr brauchen könnte, aber in dem Fall würde wieder die notwendige Stimulation fehlen und die Bereiche würden wieder "einschlafen". Das eigene Gehör an sich verbessert sich nicht durch das Tragen von HG, nur das was das Gehirn aus dem machen kann, was es zu hören und verarbeiten bekommt.

Der Schluss daraus ist natürlich, dass man seine HG am Ohr haben sollte und nicht in einer Schublade. Das heißt aber nicht, dass man keine "Hörpausen" einlegen darf. Hören mit HG oder CI ist anstrengend, anstrengender als für normalhörende, wenn man merkt, man stößt an seine Grenzen, dann sollte man diese auch beachten. An normalen Tagen trage ich meine HG vom Aufstehen bis Schlafen gehen, ich mache aber auch, wenn ich weiß ich brauche sie nicht umgehend sondern vielleicht erst am Abend weil ich alleine bin oder ähnliches auch erst abends rein, oder nehme sie nach einem anstrengenden Tag früher raus. Das sind meine Hörpausen zur Erholung. Auch wenn ich unterwegs bin und merke ich bin reizüberflutet, dann schalte ich meine HG stumm und genieße die Ruhe und die Tatsache, dass ich das machen kann.

Convallaria hat geschrieben: ↑27. Aug 2022, 19:14 Guten Abend in die Runde,

Als Ja doch noch ziemlicher HG- und Schwerhörigkeits-Neuling habe ich doch noch mal eine Frage. Und zwar, es heißt ja immer, dass, je mehr man die HG trägt, desto eher gewöhnt sich das Gehirn und desto mehr versteht man. Also Hören quasi als Training.

Mein Akustiker, den ich natürlich auch danach gefragt habe, begann mit „soviel wie möglich, wenn’s geht 10-12 Stunden pro Tag“; je besser wir uns kennenlernten über das ausprobieren, desto mehr entspannte er sich, sozusagen.

Meine Lebensumstände sind so, dass ich viel lese und schreibe, und auch recht viel im Flugzeug sitze, und vor den Hörgeräten habe ich da Noise Cancelling earphones getragen. Je weniger ich da höre, desto besser und angenehmer, desto mehr kann ich mich konzentrieren.

Insoweit frage ich mich nun, boykottiere ich mich selbst, wenn ich eben nicht 10-12 Stunden täglich die HGs trage, sondern wenn ich sie nur dann trage, wenn Geräusche, Sprache, etc, wichtig sind, also nicht in den Situationen, wenn ich zuvor mich bemüht habe, Geräusche auszublenden?

Mein Akustiker sagt, das sei ok. Ich hätte aber gern noch ein paar andere Meinungen…

Danke!

Moin,
Dein Akustiker sollte deine neuen Hörgeräte so einstellen, dass du sie 10 - 12 Stunden tragen kannst, ohne dass es dir unangenehm wird. Das ist ganz wichtig !
Oft erträgt man am Anfang die volle Power , die nötig wäre, um den Hörverlust auszugleichen, noch gar nicht. Alles ist dann viel zu laut, zu schrill, zu nervig.
Dann kann ein guter und geduldiger Akustiker die Geräte langsam nach und nach höher einstellen. Das kann Wochen dauern, denn das Gehirn ist an so viele Geräusche nicht mehr gewöhnt.
Gut eingestellte Geräte machen Freude, weil sie die Lebensqualität verbessern.

Ich kann AnnaGreta nur zustimmen,

am Anfang sind die ganzen neuen Töne und Geräusche anstrengend und ermüdend und frau möchte die Geräte lieber abschalten oder rausnehmen. Das ging mir am Anfang vor über dreißig Jahren genauso.
Ich merkte aber auch wie sehr mir meine beiden Hörgeräte im Studium halfen und so ließ ich sie immer länger in den Ohren und habe sie mit Hilfe meiner guten Akustikerin perfekt an mich angepasst.Das ist am Anfang sehr wichtig.
Heute sind meine Hörgeräte ein Teil von mir, sie sind das erste was ich morgens anlege und das letzte was ich Abends ausziehe.
Ohne sie fühle ich mich unvollständig und unwohl und würde ohne sie auch nie das Haus verlassen.

Robert Wilhelm hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 07:47 Weniger zu hören, ist nicht immer nur nachteilig. Haben wir nicht alltäglich zu viel Lärm um uns herum ?

Hallo Robert,

sehe ich genauso, Schwerhörigkeit kann auch manchmal Vorteile haben!

Ich trage meine Höris auch nicht den ganzen Tag, wenn ich Abends allein zuhause bin, keine Musik etc. höre mache ich die raus, schont die Batterien und die Laufzeit der HG.
In der Stadt muss ich auch nicht alles in voller Lautstärke hören, Beispiel die mittlerweile allseits beliebten Staub und Blattpuster...grausam, Harke und Besen scheinen ja nicht mehr zu funktionieren.
Dann lärmender Auto, Motorrad, LKW, Busverkehr, schreiende Alarmsirenen von Rettungsfahrzeugen, quietschende Straßenbahnen, Presslufthämmer im Straßenbau...nö ernsthaft für mich kein Mehrwert, eher unangenehmer Krach.
In diesen Situationen stelle ich meine HG. immer auf maximal leise, im Zweifel nehme ich die ganz raus, dann rettet mich meine Schwerhörigkeit!

Robert Wilhelm hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 07:47Und ich muss auch nicht von den Vögeln geweckt werden, und die Amseln stören mich beim Zeitung lesen

Damit habe ich allerdings keine Probleme...

Andreas

Bachianer hat geschrieben: ↑7. Sep 2022, 17:01

Robert Wilhelm hat geschrieben: ↑28. Aug 2022, 07:47Und ich muss auch nicht von den Vögeln geweckt werden, und die Amseln stören mich beim Zeitung lesen

Damit habe ich allerdings keine Probleme...

Andreas

DAS sehe ich allerdings auch so. Ich freue mich, dass es überhaupt noch Vögel gibt. Und Amselgesang... Davon kann es überhaupt gar nicht genug geben!

Brittany