Das 1. Mal

Hier kann man sich vorstellen oder eigene Erlebnisse berichten
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Pfefferminze
Beiträge: 57
Registriert: 24. Mär 2014, 21:24
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Das 1. Mal

#1

Beitrag von Pfefferminze »

Hallo,
nun will ich mich auch mal hier vorstellen und eine Kurzfassung meiner SH-Laufbahn zum Besten geben:
Ich bin 48 Jahre, habe 3 Töchter (27, 26, 14 J.) und einen Lebensgefährten, der auch Vater meiner jüngsten Tochter ist.

Ich glaube ich war schon als Kind schwerhörig, was aber nie so richtig diagnostiziert wurde. Meine Mutter war häufig mit mir beim HNO zum Hörtest. Der fiel mal so mal so aus. Ich weiß noch, dass das für mich immer ein enormer Druck war und ich habe oft den Knopf für "hab ich gehört" gedrückt, obwohl ich gar nichts gehört habe. Ich hatte eine Großtante, die war hochgradig schwerhörig. Wir mochten sie zwar alle sehr gern, aber irgendwie wurde sie auch nie so richtig für voll genommen und für blöd verschlissen. So wollte ich auf keinen Fall sein!!!

Meine Familie hat oft zu mir gesagt: Jetzt hör doch mal richtig hin, konzentriere dich mal ein bisschen, Augenverdrehen bei nicht verstehen usw. Ich fühlte mich immer schlecht, wenn ich etwas nicht verstand und tat dann so, als ob ich verstanden habe. Das zog sich dann so hin, bis ich ca. 25 J. war und nach einem Hörsturz fast gar nichts mehr hörte. Aber auch da habe ich versucht die Schwerhörigkeit zu vertuschen, obwohl das eigentlich gar nicht mehr möglich war. Auf keinen Fall wollte ich HG!!! Mit 30 J. fing ich eine Umschulung zur Ergotherapeutin an. Mir war klar, dass ich das ohne Hörgeräte nicht packen würde, also ließ ich mir welche verpassen. Damit ging es besser, aber das Hören machte (und macht mir heute noch) keinen Spaß. Außerdem waren die HG mir hochgradig peinlich und keiner durfte sie sehen, geschweige denn etwas davon wissen. Nur meine Familie wusste davon, aber ich sorgte dafür, dass dieses Thema eine Tabu war.

Zu Beginn meiner HG-Karriere, also mit 30 J., lernte ich meinen jetzigen Lebensgefährten kennen und konnte tatsächlich 1/2 J. meine HG geheim halten, obwohl ich sie ständig trug. Welch ein Stress war das!!!
Im Laufe der letzten 18 Jahre hat mein Gehör sich verschlechtert. Links bin ich hochgradig bis an Taubheit grenzend, rechts mittelgradig bis hochgradig (hier streiten sich die Gelehrten) schwerhörig. Ohne Hörgeräte läuft bei mir gar nichts (Phonak Naida III SP). Ich habe sogar nachts immer eins an. Ich fühle mich durch meine Hörschädigung extrem isoliert und habe keinen Spaß mehr irgendwo hin zugehen. Da ich ja bis vor 4 Wochen auch nicht dazu stand, hab ich es mir doppelt und dreifach schwer gemacht. Ich weiß nicht wie viele hochpeinliche Situationen ich schon erlebt habe, weil ich so tat, als würde ich hören, was dann doch aufgefallen ist und für die anderen ach wie lustig war.

Ich wollte mich mit der Behinderung nicht auseinander setzen.
Weiß keiner, red ich nicht drüber, sieht man nicht - HAB ICH NICHT!!!
Meinem Lebensgefährten ging das zunehmend auf den Keks, denn ich habe ja unter der Schwerhörigkeit gelitten und es mir durch die Heimlichtuerei nur noch schwerer gemacht. Er sagte, ich müsse mich mit dem Problem auseinander setzen und dazu stehen und er setzte mich ganz schön unter Druck. Ich wusste, er hatte Recht! Nun habe ich vor 4 Wochen das Tabu gebrochen und rede darüber. Das ist einerseits eine Erleichterung. Da ich mich aber das 1. Mal so richtig damit auseinander setzte, wurde mir das ganze Ausmaß meiner Behinderung bewusst.

Viele Dinge habe ich nie mit der Schwerhörigkeit in Verbindung gebracht. Jetzt weiß ich, wie sehr sie mein Leben bestimmt hat und immer bestimmen wird. Ich fühle mich wie eine Außerirdische, die nichts versteht und nicht verstanden wird. Ich verstehe einfach viel zuwenig, um in Gesellschaft mithalten zu können. Ich kann auch nicht jedesmal nachfragen, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Das wäre dann ca. jeder 3. Satz (wahrscheinlich noch häufiger). Natürlich habe ich Strategien entwickelt, um irgendwie mitzukommen. Aber es reicht einfach nicht. Ich weiß gar nicht, wie ich aus diesem Zustand heraus kommen soll. :help:
So, das war mein erster Eintrag in einem Forum und ich bin froh, dass ich das gemacht habe. Es geht mir schon ein bisschen besser.

Erleichterte Grüße
Pfefferminze
li. Taub mit CI MED-EL Sonnet, EA am 25.07.14
re. an Taubheit grenzend SIEMENS INTUIS PRO DIR :wilma:
Holubenka
Beiträge: 83
Registriert: 28. Dez 2010, 14:31
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Re: Das 1. Mal

#2

Beitrag von Holubenka »

Herzlich willkommen im Forum, Pfefferminze.
Ich denke, der erste Schritt zu mehr Lebensqualität ist gemacht durch das Akzeptieren der Behinderung.
Wir beschäftigen uns erst seit drei Jahren mit dem Thema Schwerhörigkeit, seit unser Sohn mit einer Hörbehinderung geboren wurde. Wenn wir etwas gelernt haben, dann, dass es keinen Sinn macht, es zu verstecken. Im Gegenteil, je offensiver man damit umgeht, umso besser ist es.
Das versuchen wir auch unserem Sohn zu vermitteln und es klappt bisher sehr gut.
Von daher freut es mich sehr für Dich, dass Du Dich entschlossen hast, offensiver mit dem Thema umzugehen.
Viel Erfolg und alles Gute,
Holubenka
Ein Sohn, 09/2010 geboren, mittel- bis hochgradige SH
AlfredW
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Re: Das 1. Mal

#3

Beitrag von AlfredW »

Hallo,

und ich habe gedacht, als ich deine Überschift las, ich müßßte eine Art Sexualberatung abhalten :-). gerade noch mal Glück gehabt.
Aber Spaß beiseite: mit deinem 1. Mal hast Du meiner Meinung nach den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Jetzt kannst Du deine Energie in den Umgang miz deiner SH legen anstatt die Energie in deren Verheimlichung zu verschwenden.

Gruß und willkommen hier

Alfred
bds Innenohrschwerhörigkeit ca. 80 dzb
Phonak Audeo R P50 13T UP + TV-Link
gunny
Beiträge: 9
Registriert: 21. Jun 2003, 09:20
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Re: Das 1. Mal

#4

Beitrag von gunny »

Hallo Pfefferminze

Du hast einen wichtigen Schritt schon getan, sehr gut.
Ich glaube, du bist jetzt reif für eine Reha in Rendsburg.
www.Hoergeschaedigt.de
Dort habe ich z.B. gelernt im normalem Leben sehr viel besser mit meiner Behinderung
klarzukommen.

Hth Jürgen
rike 54
Beiträge: 13
Registriert: 27. Mär 2014, 09:16
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Re: Das 1. Mal

#5

Beitrag von rike 54 »

Hallo Pfefferminze,
gerade wollte ich mich auch hier im Forum vorstellen, als ich deine Geschichte gelesen habe und gedacht habe, du redest von mir. Es ist genau auch meine Geschichte, nur, dass ich schon 59 Jahre alt bin.
Aber auch ich habe meine Behinderung bis zur Selbstaufgabe verleugnet und vertuscht, sodass ich nun eine Therapie brauche, um alles aufzuarbeiten.
Vielleicht ist es dir ja noch rechtzeitig gelungen, die Notbremse zu ziehen.

Liebe Grüße. Rieke
links CI AB Naida Q 70
rechts HG Phonak Naida S IX UP
an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bds.
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